Meggendorfers Huinoristische Blätter.
s32
Lin „R."
schlichten Kindes in meiner Seele u,n zu vollerem Klange; wie
gab ich dem Unmute Raum, der iiber das widrige Schicksal
klagte, das solch ein reizendes Mädchen zwang, Frohndienste zu
leisten. Aber — mit der Gloriole der Märtyrerin trug sie alles,
und zur Belohnung ihrer treu ausharrenden Liebe erringt sie
sich fürs Leben den Sohn des ksauses zum Gatten, dessen heißes
lverben sie längst mit stiller Neigung erwidert!
während die anderen noch saßen und schrieben, gab ich
lange vor der bewilligten Ieit mein kseft ab und hatte gegen-
über dem zweifelnden „Nun? Schon sertig? Schie hätten
schich die Schache auch genauer anschehen können l" des Pro-
fessors nur eincn mitleidigen, triumxhierenden Blick. Zu Hause
empfing mich mein vater zu der ungewohnt frühen Stunde
sehr erstaunt; noch erstaunter war er, als er das Thema ver-
nahm und ich hörte, wie er zur Mutter sagte: „Diese Steiß-
trommler werden doch immer verrnckter! So ein blödsinniges
Thema! wie soll denn ein Iunge darüber was schreiben
können!" was meine Mutter darauf erwiderte, konnte ich
nicht verstehen, ich hörte nur, wie mein vater darauf mit einem
lauten Lachen erwiderte: „So? Na — solch ein
Bengell"
Ich raste. Aufspringen wollte ich, ihm das Lseft aus
der bsand reißen und ihn verhindern, meine Perlen vor diese
Lserde von Säuen zu wcrfen, da — rief mich der Professor
an und sagte:
„kseeren Schie, Schie missen nischt auf den Dhren schitzen,
wenn isch dasch Thema schage; es hiesch nämlisch:
,T>ie Geschichte, eine Lrzieherin der Iugend'."
Der Liebesbrief wurde nicht geschrieben, auch gestatteten
mir die Eltern nicht, meinen Schmerz über das Nichtbestehen
des Lxamens in Lottes Armen auszuweinen; sie ist später die
Gattin eines polnischen ksauslehrers geworden, der das „R"
sehr deutlich sprach; ich aber hasse diesen Buchstaben noch heute
und liebe z. B. auch weit mehr die lNonate ohne „R", schon
deshalb, weil es da die besten Arebse gibt . . .
Iurmer prohig.
Zwei lvochen gingen ins Land; ich verbrachte
sie in stolzer Zuversicht. Lndlich nahte der Tag
heran, an welchem die Abgabe der Arbeiten erfolgen
sollte. Für mich würde es ein Tag des Triumphes
sein, das wußte ich; der Professor würde meinen
Aufsatz vor der Klasse als Muster vorlesen, mich
beloben und sein Bedauern aussprechen, mich so-
lange verkannt zu haben; und das alles wiirde ich
meiner kleinen süßen Lotte verdanken! Ich nahm
mir vor, ihr einen innigen glühenden Brief mit
einer Abschrift des Aufsatzes zu senden, meinen
ersten Liebesbrief mit der ersten Dichterarbeitl
Nie bin ich wieder so hoch erhobenen Hauptes
in die Schule gegangen. Selbst das tiefkränkende
Ivort meines vaters: „Du, halt die Nase nicht so
hoch, es wird dir sonst noch 'reinregnen I" störte
meinen inneren Iubel nicht — und mit Spannung
und frohem bserzklopfen erwartete ich die deutsche
Stunde.
professor Schiebele erschien denn auch mit dem
dicken Stoß bsefte. Lhe er sie verteilte, nahm er
nach längerem Suchen eines heraus, hochxochenden
kserzens erkannte ich das meinige — und nun kam
mein Triumxh l
„Liebe Schielerl" begann der sdrofesfor, „bevor
isch eisch die Aufschätze zurückgebe, will isch eisch
einen Aufschatz vorleschenl Ls isch etwasch gansch
Auschergewehnlisches I"
Und er sing an zu lesen. voll Stolz blickte
ich mich um, doch — ich wagte es kaum, meinen
Blicken zu trauew: übcrallzuerstverwunderte, fragende,
dann zusehends heiterer werdende Gesichter. Ich
erwartete jeden Augenblick, daß der professor ein
Lobeswort einflechten würde, da plötzlich brach ein
homerisches Gelächter aus, wie es nur eine Schar
von primanern hervorbringen kann — und o Ge-
meinheitl Der professor stimmte selbst so herzlich
ein, daß ihm die Thränen über die Backen liefen l
Richter: „Sie müssen unbedingt etwas Schweres in der ksand gehabt
haben, mit dem sie den Uläger niederschlugenl"
Protz: „Da kann ich ihn nur mit meinem Siegelring getroffen haben!"
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
In Vesterreich-Ungarn für bjerausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in Wien I.
Verlag von I. F. Schreiber in München und Etzlingen.
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Lin „R."
schlichten Kindes in meiner Seele u,n zu vollerem Klange; wie
gab ich dem Unmute Raum, der iiber das widrige Schicksal
klagte, das solch ein reizendes Mädchen zwang, Frohndienste zu
leisten. Aber — mit der Gloriole der Märtyrerin trug sie alles,
und zur Belohnung ihrer treu ausharrenden Liebe erringt sie
sich fürs Leben den Sohn des ksauses zum Gatten, dessen heißes
lverben sie längst mit stiller Neigung erwidert!
während die anderen noch saßen und schrieben, gab ich
lange vor der bewilligten Ieit mein kseft ab und hatte gegen-
über dem zweifelnden „Nun? Schon sertig? Schie hätten
schich die Schache auch genauer anschehen können l" des Pro-
fessors nur eincn mitleidigen, triumxhierenden Blick. Zu Hause
empfing mich mein vater zu der ungewohnt frühen Stunde
sehr erstaunt; noch erstaunter war er, als er das Thema ver-
nahm und ich hörte, wie er zur Mutter sagte: „Diese Steiß-
trommler werden doch immer verrnckter! So ein blödsinniges
Thema! wie soll denn ein Iunge darüber was schreiben
können!" was meine Mutter darauf erwiderte, konnte ich
nicht verstehen, ich hörte nur, wie mein vater darauf mit einem
lauten Lachen erwiderte: „So? Na — solch ein
Bengell"
Ich raste. Aufspringen wollte ich, ihm das Lseft aus
der bsand reißen und ihn verhindern, meine Perlen vor diese
Lserde von Säuen zu wcrfen, da — rief mich der Professor
an und sagte:
„kseeren Schie, Schie missen nischt auf den Dhren schitzen,
wenn isch dasch Thema schage; es hiesch nämlisch:
,T>ie Geschichte, eine Lrzieherin der Iugend'."
Der Liebesbrief wurde nicht geschrieben, auch gestatteten
mir die Eltern nicht, meinen Schmerz über das Nichtbestehen
des Lxamens in Lottes Armen auszuweinen; sie ist später die
Gattin eines polnischen ksauslehrers geworden, der das „R"
sehr deutlich sprach; ich aber hasse diesen Buchstaben noch heute
und liebe z. B. auch weit mehr die lNonate ohne „R", schon
deshalb, weil es da die besten Arebse gibt . . .
Iurmer prohig.
Zwei lvochen gingen ins Land; ich verbrachte
sie in stolzer Zuversicht. Lndlich nahte der Tag
heran, an welchem die Abgabe der Arbeiten erfolgen
sollte. Für mich würde es ein Tag des Triumphes
sein, das wußte ich; der Professor würde meinen
Aufsatz vor der Klasse als Muster vorlesen, mich
beloben und sein Bedauern aussprechen, mich so-
lange verkannt zu haben; und das alles wiirde ich
meiner kleinen süßen Lotte verdanken! Ich nahm
mir vor, ihr einen innigen glühenden Brief mit
einer Abschrift des Aufsatzes zu senden, meinen
ersten Liebesbrief mit der ersten Dichterarbeitl
Nie bin ich wieder so hoch erhobenen Hauptes
in die Schule gegangen. Selbst das tiefkränkende
Ivort meines vaters: „Du, halt die Nase nicht so
hoch, es wird dir sonst noch 'reinregnen I" störte
meinen inneren Iubel nicht — und mit Spannung
und frohem bserzklopfen erwartete ich die deutsche
Stunde.
professor Schiebele erschien denn auch mit dem
dicken Stoß bsefte. Lhe er sie verteilte, nahm er
nach längerem Suchen eines heraus, hochxochenden
kserzens erkannte ich das meinige — und nun kam
mein Triumxh l
„Liebe Schielerl" begann der sdrofesfor, „bevor
isch eisch die Aufschätze zurückgebe, will isch eisch
einen Aufschatz vorleschenl Ls isch etwasch gansch
Auschergewehnlisches I"
Und er sing an zu lesen. voll Stolz blickte
ich mich um, doch — ich wagte es kaum, meinen
Blicken zu trauew: übcrallzuerstverwunderte, fragende,
dann zusehends heiterer werdende Gesichter. Ich
erwartete jeden Augenblick, daß der professor ein
Lobeswort einflechten würde, da plötzlich brach ein
homerisches Gelächter aus, wie es nur eine Schar
von primanern hervorbringen kann — und o Ge-
meinheitl Der professor stimmte selbst so herzlich
ein, daß ihm die Thränen über die Backen liefen l
Richter: „Sie müssen unbedingt etwas Schweres in der ksand gehabt
haben, mit dem sie den Uläger niederschlugenl"
Protz: „Da kann ich ihn nur mit meinem Siegelring getroffen haben!"
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
In Vesterreich-Ungarn für bjerausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in Wien I.
Verlag von I. F. Schreiber in München und Etzlingen.