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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 43.1900 (Nr. 510-522)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20908#0029
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Meggendorfers humoristische Blätter.

2i

t?erbrccher (inl Strcite, zu cinem andern): «ttltt t)ir, Lclusbuti', red tch ütierhaupt net, du ttlit
ja noch gar net im verbrecheralbuml"

dem kjerrn Direktor, dem
kjerrn Präsidenten, dem
kjerrn Geheimrat und ande-
ren S. T. Menschen. Lauter
verzwickte Auseinandersetz-
ungen waren's gewesen,
welche die schärsste Ausmerk-
samkeit und eine auss äußerste
angespannte ksirnthätigkeit
erheischt hatten. Ioachim
war dadurch in einen Zustand
subtilster Lmxfindlichkeit ge-
raten; der geringste Reiz
löste starke Nervenschwing-
ungen in ihm aus. Da' er-
achtete er's als die beste Aur,
stch sür einige Stunden in
die Nebel einer tsavanna-
wolke einzusxinnen und bei
totaler Gedankenenthaltung
kine Flasche Bernkastler Dok-
tor als Medlzin zu sich zu
nehmen.

Absolutcs Nichtsthun,

Nichtsdenken, Nichtsempfin-
den: Nirwana — himmlisch.

Lr reckte sich behaglich und
griss nach dem Römer, um
ihn zum Munde zu siihren
— da gewahrte er, wie Bal-
duin zwischen Tischen und
Stühlen hindurch im Zick-
zackkurs mit beschleunigter
Fahrt auf ihn zusteuerte.

Ioachim zuckte erschreckt zusammen; der Römer ließ eine große
Thräne auf Ioachims gebügeltes ksemd sallen.

Balduin — gefürchtet, gemieden, gcflohen von allen, die
ihn kannten: den mußte Beelzebub hierherführen, diesen Balduin.
Seiner eigenen glaubwürdigen Angabe nach, welche er allen
Bekannten des öftern wiederholte, war er ein Dichter; der
ebenfalls glaubwürdigen Angabe nach, welche er der Steuer-
behörde machte, bestritt er seinen Lebensunterhalt lediglich aus
den Zinsen eines ehrlich ererbten Aaxitals.

Ioachim hatte einen rettungssuchenden Blick um sich ge-
worfen— ach, er war in seinem lVinkel eingeklemmt, gesangen;
jeder Fluchtversuch aussichtslos. Balduin stand auch schon vor
ihm, saß neben ihm, sprach auf ihn los — das vollzog sich
alles mit schwindelerzeugender Schnelligkeit.

„Ich habe saktisch schon gedacht, du wärst krank oder tot,"
sprudelte Balduin hervor; „ich hab' dich ja seit wer weiß wie
langer Zeit nicht gesehen, auch die anderen Bekannten hab ich
seit ungemessenen Lwigkeiten nicht getroffen. Und wenn ich
so mutterseelenallein bin und menschenverlassen, Ioachim, dann
sühl' ich mich tief unglücklich. Ich muß reden und lebendiger
Menschen Gegenrede hören, das ist mir unabweisbares Bedürfnis-
Letzthin bin ich in meiner gualvollen Linsamkeit sogar daraus
verfallen, ein Tagebuch zu führen, aber bald genug hab ich
den verzweiselten versuch ausgegeben, meine stramxelnde Seele
in die windeln verschnörkelter Schriftzeichen zu wickeln und auf
die unschuldweißen Laken eines Tagebuchs zu betten."

Ioachims Stirn und Lixxen begannen nervös zu zucken.

„Schreiben ist Blech, aber Reden ist Silber," suhr Balduin
fort. „Siehe, mein Ioachim, die köstlichen perlen des Lham-
pagners ringen nach Lntsesselung aus ihrem grünbauchigen

Lumpenstoh.

Aerker, uin in die Form des klingenden Aelchglases zu ent-
strömen und, solchergestalt von durstigen Trinkern genossen,
deren lserzen und Geister auf den Fliigeln des Rausches empor-
zutragen in die Gefilde des lsimmels, wo man mit der goldenen
Sonnenkugel die silbernen Sternenkegel umschiebt, die der
lachende Mond wieder aufsetzt."

Ioachims Gesichtszüge verzerrten stch.

„Aber wenn die Thampagnerflasche keinen verständnisvollen
Frcund findet, der den Drahtknebel ihres Mundes löst, so ist
sie nlchts weiter, als ein kalter Leichnam, stumm und unproduk-
tiv unter dem enormen Drucke innerer Spannung. Auch ich,
mein Ioachim, bin seit drei Mochen eiue Leiche —"

„warum bist du's nicht geblieben?" platzte Ioachim heraus.
„weil ich dich getrosfen habe, Teuerster," rief Balduin und
klopfte Ioachims Anie. „Du gibst mich dcm Leben wieder."
Wie unter Peitschcnhieben wand und kriimmte sich Ioachim

auf seinem Stuhl.

„Line Sektflasche war ich," sagte Balduin.

„Sektleiche," murmelte Ioachim, bei dcm die Begriffe sich

zu verwirren anfingen.

„Line Sektflasche mit sieben Siegeln," sxrach Balduin
weiter. „Der enorme Druck innerer Spannung wollte mir just
den Brustkorb zersprengen, siehe, da erstehst du mir als Retter,
da treffe ich dich, liebster Freund, der du den Vuell meines
Mundes erschließcst, auf daß die eingedämmten Gedankenfluten
heraus- und dahinströmcn können — als rauschende Wortwellen

im Flußbett des Satzgesüges."

Ioachim preßte die Fingerspitzen an die hämmernden Schläsen.
„Glaube mir," xredigte Balduin mit erhobener Stimme,
„in meinem Innern sind Ideen aufgeschichtet, Ideen — ha,
 
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