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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 43.1900 (Nr. 510-522)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20908#0043
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Meggendorfers Hurnoristische Blätter.

35

Der Rechtsstreit.

Ietzt kann es der wastl nimmer zu L^aus aushalten, und
nachdem er vorsichtig den Schlüssel vom wandkastel in seinen
ledernen Zuggeldbeutel gesteckt hat, trollt er sich aus dem L)aus
und geht — an die Arbeit? — nein ins wirtshaus. Merk-
würdig, seitdem er der Herr Sebastian Unterreuter ist und
nimmer der wastlbauer, ist's ihm gar nicht mehr recht ums
Arbeiten. Der Bäuerin zu Baus steigen allerdings manchmal
Zweisel auf, und nach drei oder vier Tagen peinigt sie ihren
wastl aufs neue mit ihrer Beugierde, erreicht aber bei der ja
sprichwörtlich gewordenen Dickschädelhaftigkeit ihres werten
Lhegemahls natürlich gar nichts.

Da passiert plötzlich etwas, was der ganzen Geschichte ein
etwas anderes Ansehen gibt.

Der wastlbauer bekommt wieder einen Brief. Und wieder
heißt es „L^errn Sebastian Unterreuter, genannt wastlbauer in
Dingsda." Da der Bote aber diesmal keine Lmxfangsbestätig-
ung verlangt hat, hat die wastlbäuerin das Schreiben erhalten,
weil der „L)err" Gemahl im wirtshaus war. 5ie hat natürlich
auf die Ankunft des wastl nicht gewartet, sondern legt das
Schreiben auf den Tisch, wischt sich erst ihre Finger an den
Rockfalten etwas ab, sucht die „Augenbrille" und beginnt lang-
sam und feierlich mittels einer rasch aus dem L)aar gezogenen
Haarnadel den Brief zu öffnen. Nachdem letzteres, mit einigen
L)indernissen zwar, gelungen ist, saltet sie das Papier auseinander,
legt es vor sich auf den Tisch und beginnt, das Lsaupt weit
zurückbeugend und mit dem Zeigefinger der rechten Hand jedes
gelesene wort nachfahrend, laut sür sich den Brief zu lesen.
Der Inhalt des Briefes war folgender:

New-Pork, d. ^7. Mai t697.
werter L^err vetter und werte Frau Basel

wie Ihr Luch wohl noch errinnern könnt, bin ich vor
ungefähr zwanzig Iahren ins Amerika hinein ausgewandert.
viel hab' ich mir während dieser Zeit hier nicht ersparen
können, weil das Leben hier sehr teuer ist. Aber ich bin
wenigstens frisch und gesund und hoffe, daß Ihr es auch seid.
Meine Frau ist vor zehn Iahren schon gestorben, was Luch
gewiß sehr leid thut. Nun kommt die Hauptsache. Indem
daß ich, wie gesagt nicht viel erspart habe, und indem ich sehr
gerne wieder zu Euch nach Dingsda zurück möchte, Ihr aber
meine einzigen lieben Nerwandten seid, möchte ich Euch viel-
mals bitten mir das Reisegeld zu senden, um von hier fort zu
können. Auf Ehre ich komm', ich versauf's nicht. Ls kostet ja
nicht viel, höchstens einige hundert Mark, welche ich dann bei
Luch schon abarbeiten werde.

Indem ich hoffe Tuch bald wieder zu sehen, grüßt

Luch bestens Tuer

Georg Sturzwallner,

New-Pork, KonZ Ltreet ^5/^6.

Nachschrift: Ls ist mir einerlei, ob Ihr rnir das Geld per
Postanweisung oder durch eingeschriebenen Brief schickt, das
könnt Ihr machen wie Jhr wollt.

Nachdem die wastlbäuerin die Lpistel gelesen hat, findet
sie, daß ihr nicht recht gut ist. Sie starrt immer wieder auf
den Brief hin, bemerkt gar nicht, wie der wastl, der doch nicht
geräuschlos auftritt, zur Thüre hereinkommt.

„was hast denn?" schreit er sie an, und ohne ein wort zu
sagen, reicht sie dem wastl den Brief hin. Nachdem der den
Brief durchgelesen hat, geht es ihm ähnlich wie seinem weib.
Plötzlich aber haut er auf den Tisch hinein und schreit: „Ietzt
lebt der noch, das ist doch a Gemeinheit, hat ma' so was
schon gehört. Dös muß a Irrtum sein, wie könnt' i denn sonst
was irb'n."

„Leicht is 's erst Briafei gar net von eam," sagt sie drauf.

„Da is mir scho' liaba der da net von eam," schreit er und
wirft wutentbrannt das Schreiben auf den Boden.

Mit großen Schritten geht der wastl im Zimmer auf und
ab, plötzlich macht er eine energische Bewegung auf das wand-
kastel hin, zerrt seinen ledernen Beutel aus der Tasche, nimmt
den Schlüssel heraus und sperrt auf. Rasch reißt er das
Touvert herunter und beginnt zu lesen:

Alageschrift zum kgl. Amtsgerichte Dingsda

für

Ingaz b^interhuber, Mekonom in Dingsda

gegen

Sebastian Unterreuter, Bauer von Dingsda rc. rc.

Verhandlungstermin am 8. Iuni 1,897, vormittags 8 Uhr,

im Sitzungssaale des kgl. Amtsgerichtes dahier rc. rc.

weiter war darin ausgeführt, daß der wastl dem Nazi in
Güte seine Sau nicht bezahlen wolle, und bittet der Anwalt
des Nazi, das kgl. Amtsgericht möge den Sebastian Unterreuter
zur Zahlung der- L^auptsache im Betrage von dreiundzwanzig
Mark und achtzig pfennig, sowie Tragung sämtlicher Aosten
gütigst verurteilen.

Der waftl war vernichtet. Zunächst wollte er den Nazi
umbringen, und nur auf dringendes Anraten seiner Leni, ließ
er diesen Gedanken wieder fallen. „Der Kerl is ja no gemeiner
wie der andere," schreit der wastl; „aber es macht nix, sie
könna mir ja nix nachweisen, d' Sau is ja 'gessen."

„Tig'sperrt werst, dummer Aerl, einfältiger, wennst net
zahlen kannst und von was sollst es zahlen, versoffen hast die
letzten Täg alles I" geifert sie.

„In d' verhandlung geh i, liegt mir nix dran, z'erst schwör'
i, na soll' er d' Sau nur suchen."

„Depp, daß di natürlich gleich b'halten, wennst hi'gehst;
da bleibst, sag i dir und wenn's kumma und holen dich, na
bist net z' Lsaus."

Der Gedanke leuchtet dem wastl ein, möglich daß sie dafür
dann die Frau einsperren, doch das sagt er ihr lieber nicht.

Ls vergehen wieder ein paar Tage, viel wird der wastl
wegen der Lrbschaft gefragt, doch klingt die Antwort etwas
verdächtig.

Mittlerweile war die Verhandlung und der wastl wird
verurteilt.
 
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