Meggendorfers humoristische Blätter.
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Ämpfindüch.
— „Wie, Sie hier im Leihhaus, Frau Müller? Das wundert
mich I"
— „Gho, denken S' vielleicht, ich hab' nichts mehr zu versetzen?"
Äin schwerer A'ump.
er Studiosus Severin Schönbach von der medizinischen
Fakultät war einer der bierehrlichsten und feuchtfröh-
lichsten Päupler des lustigen Iena. Reicher Lltern
Aind bekam er ein höchst anständiges Taschengeld, mit welchem
er jedoch, alten Traditionen getreu, immer vor der Ieit fertig
wurde. Lin großer Teil seiner monatlichen Fonds ging für
Befriedigung seiner allzeit durstigen Aehle drauf, weiter aber
— und das soll besonders lobend heroorgehoben werden — half
unser bemoostes bsaupt, von echtem Lorpsgeist durchweht, bereit-
willigst allen Lonfratres, die schon etwas früher Aassenabschluß
machten, wie er. Auch beschenkte er in angeborener Gutmütigkeit
oft und reichlich die Kinder seiner Vermieterin, einer schlichten,
arbeitsamen Witwe. Das alles schwächte nach und nach seinen
Geldbeutel derart, daß er am vierundzwanzigsten manchmal
kaum bare dreißig jdfennig besaß. — von zu Lsause bekam
Severin nicht einen theller über die Summe, die sein vater von
vornherein für ihn festgesetzt hatte. So war er gezwungen, sich
gleich Tausenden von Leidensgefährten auf dem nicht mehr
ungewöhnlichen Wege des Pumpens zu verbessern.
Das war bei ihm ein heikler und unangenehmer Punkt.
So lustig und unbekümmert er sonst war, so ungern und wider-
willig borgte er. Leider war er durch alle Fatalitäten nicht
klüger geworden, und die stets am Lrften zu erhoffende Summe
und eino gewisse Vuantität Leichtsinn, die seinem Wesen an-
haftete, ließen ihn das Rechnen vergessen. — Auf diese Weise
war er auch einmal eine volle Woche vor Ultimo aller Ukittel
bar und beschloß schweren kserzens, seiner Tante, die aus ge-
wichtigen Gründen alte Iungfer geblieben war, zwanzig Ukark
abzudrücken. Sie war geizig und führte den allereinfachsten
ksaushalt; daher war sie auch nie in der Lage, ihr respektables
Bermögen aufzuzehren. Ihr kseim lag in einem entlegenen
Winkel der freundlichen Musenstadt.
Severin machte sich herzkloxfend auf den Weg und läutete
punkt elf Uhr an Tante Sophies Pforte. Punkt elfl Nur um
diese Zeit wünschte sie etwaigen Besuch und machte hierin auch
mit ihrem Neffen keine Ausnahme. Auf der Treppe wäre er
am liebsten umgekehrt. Lr hatte einmal die sonderliche Tante um
ein Lumpengeld angepumpt, das ihm durch die scharfe Predigt,
die er zu hören bekam, so ziemlich verleidet wurde.
Tantc Sophie empsing den seltenen Gast mit gewissem
Lrstaunen, zeigte ihm aber darauf mütterliches Wohlwollen, das
sich nach und nach in mütterlichen Iorn verwandelte, als sie
erfuhr, weshalb Severin gekommen war. Dieser hörte alle
Lehren wie ein Dulder an und nickte hier und da zustimmend,
was auf die Tante einen so guten Lindruck machte, daß sie sich
bewogen fühlte, ihren Neffen zum Mittagsbrot einzuladen.
Severin, dem nur daran gelegen war, mit zwanzig Mark ver-
sehen so schnell als möglich aus verwandtschaftlicher Nähe zu
kommen, bekam einen leisen Schreck. Lr ließ jedoch nichts
merken und nahm die Linladung mit „größtem Danke" an. —
Nittlerweile begann er diskret zu riechen, was es wohl geben
könnte — dabei wurde ihm fast unheimlich zu Mute. Line
fürchterliche Ahnung beschlich ihn und steigerte sich zur entsetz-
lichen Gewißheit, als später Tante Sophie mit ihren knochigen
Lsänden die große, dampfende Schüssel auftrug.
„Barmherzigkeit! — Zwiebelgemüse!" stöhnte Severin;
natürlich nur in geheimster Tiefc seiner geänstigten Seele. Lr
kannte nur zu gut Tantes Lmpfindlichkeit in Geld- und Roch-
angelegenheiten — wenn sie ihm etwas anmerkte, bekam er ja
nicht einen Pfennig! Alles — nur nicht Zwiebelgemüse, diese
ÜZual seiner Ainderjahrel — Alles — — nur nicht diese weich-
lichen, schlabbrigen Schalen — mochten sie noch so kräftig mit
ksammelfleisch und Uümmel gekocht sein! — Tante Sophie füllte
ihm seinen tiefen Teller. — Unser Ukediziner saß da, als sollte
er lebendig seciert werden.
„Nun iß, mein Iunge! Zwiebelgemüse ist das Gesündeste,
was es geben kannl"
„Ulahl — Mahlzeit!" stotterte Severin und versuchte, einen
halben Löffel voll hinunter zu würgen. Ls ging nicht.
„Nun — schmeckt das nicht sehr gut?"
„V gewiß! natürlichl Ls — es ist bloß — noch sehr heißl"
Lr blies aus Leibeskräften, so daß nichts auf dem Löffel blieb.
Lr tauchte den zweiten und dritten ein — überall dasselbe
Manöver. — Die Tante schlürfte indessen ihr Leibgericht mit
Behagen und achtete weniger auf ihren schweißgebadeten Neffen.
Plötzlich klingelte es draußen.
„Lntschuldige einen Augenblick, Severinl"
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Ämpfindüch.
— „Wie, Sie hier im Leihhaus, Frau Müller? Das wundert
mich I"
— „Gho, denken S' vielleicht, ich hab' nichts mehr zu versetzen?"
Äin schwerer A'ump.
er Studiosus Severin Schönbach von der medizinischen
Fakultät war einer der bierehrlichsten und feuchtfröh-
lichsten Päupler des lustigen Iena. Reicher Lltern
Aind bekam er ein höchst anständiges Taschengeld, mit welchem
er jedoch, alten Traditionen getreu, immer vor der Ieit fertig
wurde. Lin großer Teil seiner monatlichen Fonds ging für
Befriedigung seiner allzeit durstigen Aehle drauf, weiter aber
— und das soll besonders lobend heroorgehoben werden — half
unser bemoostes bsaupt, von echtem Lorpsgeist durchweht, bereit-
willigst allen Lonfratres, die schon etwas früher Aassenabschluß
machten, wie er. Auch beschenkte er in angeborener Gutmütigkeit
oft und reichlich die Kinder seiner Vermieterin, einer schlichten,
arbeitsamen Witwe. Das alles schwächte nach und nach seinen
Geldbeutel derart, daß er am vierundzwanzigsten manchmal
kaum bare dreißig jdfennig besaß. — von zu Lsause bekam
Severin nicht einen theller über die Summe, die sein vater von
vornherein für ihn festgesetzt hatte. So war er gezwungen, sich
gleich Tausenden von Leidensgefährten auf dem nicht mehr
ungewöhnlichen Wege des Pumpens zu verbessern.
Das war bei ihm ein heikler und unangenehmer Punkt.
So lustig und unbekümmert er sonst war, so ungern und wider-
willig borgte er. Leider war er durch alle Fatalitäten nicht
klüger geworden, und die stets am Lrften zu erhoffende Summe
und eino gewisse Vuantität Leichtsinn, die seinem Wesen an-
haftete, ließen ihn das Rechnen vergessen. — Auf diese Weise
war er auch einmal eine volle Woche vor Ultimo aller Ukittel
bar und beschloß schweren kserzens, seiner Tante, die aus ge-
wichtigen Gründen alte Iungfer geblieben war, zwanzig Ukark
abzudrücken. Sie war geizig und führte den allereinfachsten
ksaushalt; daher war sie auch nie in der Lage, ihr respektables
Bermögen aufzuzehren. Ihr kseim lag in einem entlegenen
Winkel der freundlichen Musenstadt.
Severin machte sich herzkloxfend auf den Weg und läutete
punkt elf Uhr an Tante Sophies Pforte. Punkt elfl Nur um
diese Zeit wünschte sie etwaigen Besuch und machte hierin auch
mit ihrem Neffen keine Ausnahme. Auf der Treppe wäre er
am liebsten umgekehrt. Lr hatte einmal die sonderliche Tante um
ein Lumpengeld angepumpt, das ihm durch die scharfe Predigt,
die er zu hören bekam, so ziemlich verleidet wurde.
Tantc Sophie empsing den seltenen Gast mit gewissem
Lrstaunen, zeigte ihm aber darauf mütterliches Wohlwollen, das
sich nach und nach in mütterlichen Iorn verwandelte, als sie
erfuhr, weshalb Severin gekommen war. Dieser hörte alle
Lehren wie ein Dulder an und nickte hier und da zustimmend,
was auf die Tante einen so guten Lindruck machte, daß sie sich
bewogen fühlte, ihren Neffen zum Mittagsbrot einzuladen.
Severin, dem nur daran gelegen war, mit zwanzig Mark ver-
sehen so schnell als möglich aus verwandtschaftlicher Nähe zu
kommen, bekam einen leisen Schreck. Lr ließ jedoch nichts
merken und nahm die Linladung mit „größtem Danke" an. —
Nittlerweile begann er diskret zu riechen, was es wohl geben
könnte — dabei wurde ihm fast unheimlich zu Mute. Line
fürchterliche Ahnung beschlich ihn und steigerte sich zur entsetz-
lichen Gewißheit, als später Tante Sophie mit ihren knochigen
Lsänden die große, dampfende Schüssel auftrug.
„Barmherzigkeit! — Zwiebelgemüse!" stöhnte Severin;
natürlich nur in geheimster Tiefc seiner geänstigten Seele. Lr
kannte nur zu gut Tantes Lmpfindlichkeit in Geld- und Roch-
angelegenheiten — wenn sie ihm etwas anmerkte, bekam er ja
nicht einen Pfennig! Alles — nur nicht Zwiebelgemüse, diese
ÜZual seiner Ainderjahrel — Alles — — nur nicht diese weich-
lichen, schlabbrigen Schalen — mochten sie noch so kräftig mit
ksammelfleisch und Uümmel gekocht sein! — Tante Sophie füllte
ihm seinen tiefen Teller. — Unser Ukediziner saß da, als sollte
er lebendig seciert werden.
„Nun iß, mein Iunge! Zwiebelgemüse ist das Gesündeste,
was es geben kannl"
„Ulahl — Mahlzeit!" stotterte Severin und versuchte, einen
halben Löffel voll hinunter zu würgen. Ls ging nicht.
„Nun — schmeckt das nicht sehr gut?"
„V gewiß! natürlichl Ls — es ist bloß — noch sehr heißl"
Lr blies aus Leibeskräften, so daß nichts auf dem Löffel blieb.
Lr tauchte den zweiten und dritten ein — überall dasselbe
Manöver. — Die Tante schlürfte indessen ihr Leibgericht mit
Behagen und achtete weniger auf ihren schweißgebadeten Neffen.
Plötzlich klingelte es draußen.
„Lntschuldige einen Augenblick, Severinl"