^Neggend orfers L) u inoristis che Liätte r.
U9
Lieschen zitterte vor Zlufregung, als die Äorridorklingel
ertönte, und als das Mädchen, das halb geöffnet hatte, mit der
Nkeldung, ein lferr von der volkszählung wiinsche lferrn Nettke
zu sprechen, ins Wohnzimmer trat. Lieschen ahnte sofort, daß
ihr Arthur es sei, der unter dicser Maske ins ksaus komme,
und ihre Ahnung wurde ihr zur Gewißheit, als sie dem vater,
der in sein Zimmer ging, wohin cherr Dr. lNeinert vom Mädchen
gefiihrt wordeu war, Blicke nachsandte und dabei ihren 5chah
erkannte.
„Bitte wollen §ie nicht jdlatz nchmen," sagte liebenswiirdig
kserr Nettke zu dem wartenden Dr. lNeinert.
„G bitte, ich mill nicht stören l Ich will mir nur erlauben,
einen Blick in die Liste zu werfen, die sicher von Ihnen ordnungs-
gemäß ausgefnllt ist. Ls ist das meine Pflichtl"
„Bitte sehr, ich weiß das wohl, mein lserrl Aber nehmen
Sie doch dabei Platz! Sie unterziehen sich da in liebenswiirdiger,
opsermutiger lVeise eiuer gemeinniitzigen pflicht im Dienste der
Gesamtheit, und da bitte ich Sie, es sich wenigst so bequem
wie möglich zu machenl"
„Ich danke Ihnen sehr, kserr Nettke, fiir ihr licbensmiirdiges
Lntgegenkomincu. Sie glauben nicht, wie angenehm es uns
beriihren muß, auf so vicl verständnis siir die Bedeutung der
volkszählung zu ftoßen. Leider ist das nicht überall der Fall.
Die kserren Aaufleute sind ja aber in der Regel weitblickend
gcnug, dieses verständnis zu haben. Vor einer Stunde war
ich jedoch bei cinem Gelehrtenl Ich kann Ihnen sagen,
kjerr Nettke, wcnn ich nie wicder volkszähler bin, in meinem
Leben, so hat es dieser lserr auf dem Gewissen. So unhöflich
war der Manu. Lr meinte, daß die ganze volkszählung nur
den Zweck habe, neue Stcueru ausfindig zu machen. Man sollte
nicht glauben, daß ein gelehrter Mann solchen Unsinn aus-
sprechen kannl"
„Ia, die Gelehrtenl" rief nun kjerr Nettke ganz sreudig
crregt, eine gleich gestimmte Seele gefunden zu haben, aus,
„diese Gelehrtenl Und dabei blicken sie hochmiitig auf uns
Uaufleute herabl"
„Na, kjerr Ncttke, das dürfen Sie wohl nicht von allen
behauxtenl Ich selbst bin ja auch
Gelehrter, — ich bin philologe,
Gymnasialoberlehrcr, — aber ich
schätze den Aausmannstand mit
seinem weiten Blick, seinem kühnen
Unternehmnnasgeist, der erst der
wissenschaft Raum und Nahrung
zum Leben gibt. was wäre die
welt ohne den tüchtigen Aausmann-
stand, dcr die völker verbindet?
Nichts I Nach meiner Meinung hat
überhaupt keine wissenschaft irgend
cinen Zweck, wenn sie nicht dem
lsandel und wandel der Menschen
sich nutzbar zu machen weiß. Gerade
wir philologen, ljerr Nettke, sollten
das beherzigen, — und jeder lüchlige
Philologe thut es, — um dic Iugcud
nicht sür die Schule, sondern siir
das Leben zu unterrichten."
Dr. Uleinert hattedas mit großer
Wärme gesprochen, scine Augen
lcuchtetcn, und lserr Nettke, der
im erften Augeublick gauz verbliifft
gewesen war, erwiderte nuni
„Das sreut mich, ljerr Doktor,
solche Ansichten zu hörenl Und
gcrnc hörc ich von Ihncn, daß auch
andere Philologcn Ihrer Meinung sein sollten. Ich habe
leider in meiner Familie nicht den Beweis dafiir. Mein Bruder
ist auch Philologe —"
„Ach, wohl der bekannte Gymnasialprofessor Nettke in T.?"
„Ia wohl, kennen Sie ihn?"
„G jal Der — doch ich will Ihnen nicht weh' thun —"
„Bitte sprechen Sie ungeniert, ljerr Doktorl"
„Nun, er ist ja bekannt, in der philologenwelt als ein sehr
gelehrter ljerr, aber ebenso auch als ein Mann, dessen Gelehrten-
dünkel sehr groß sein soll. Lr hat ein xaar griechische Schul-
bücher herausgegeben und glaubt nun, wer weiß wie die lvissen-
schaft gefördert zu haben. Aber was er kann, das kann schließlich
jedcr, nur macht nicht jeder gleich so viel wesen davonl"
„Sehen Sie, kjerr Doktor, das sieht meinem Bruder ähnlichl
Er ist ein ganz dünkelhafter Gclehrter, der mit seiner ganzen
Gelehrsamkeit nicht den ljund vom Gfen locken kann und doch
anf mich hochmntig herabblickt. Und nun können Sie es sich
erklären, wie ich durch solch einen Bruder gegen die Gelehrten
im allgemeinen eingenommcn bin und können es vielleicht
ermessen, wie ärgerlich ich war, als ineine Tochter mir neulich
erklärte, sie wolle auch solch eiuen Schulmeister heiraten."
„Nun, vielleicht ist der ein ganz vernünftiger Mann, ljerr
Netikel"
„Nein, das glaube ich nichtl Aber Sie können mir vielleicht
über ihn Auskunft geben. Ls ist ein Gberlehrer Dr. Arthur
Meinert. Aennen Sie den Aollegen vielleichtl"
„G, gewiß kenne ich denl Ich stehe ihm sogar sehr nahe.
Aber gerade deswegen möchte ich nicht gern ein Urteil über
ihn abgeben. Nur so viel kann ich Ihnen sagen, daß er über
den Uausmannstand genau so denkt, wie ichl"
„Na, das freut mich zu hörenl Aber gleichwohl halte ich
nicht viel von Ihrem Kollegenl"
„Und wenn ich sragen darf, weshalb nicht?"
„Das will ich Ihnen gern sagenl Sehen Sie, nach meiner
Ansicht darf ein rechter Uiann sich nicht hinter cinem Utädchen
verstecken. Sehen Sie, der Dr. Nkeinert hat meine Tochter
kennen gelernt, und die Leutchen verliebten sich ineinander.
Trost.
falltossclheld (ei"c l,äusliche Scene bei Sekunnlen erblickend): „SchaU, schail, der ist ja N 0 ch
v erheira tete r als ich!"
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Lieschen zitterte vor Zlufregung, als die Äorridorklingel
ertönte, und als das Mädchen, das halb geöffnet hatte, mit der
Nkeldung, ein lferr von der volkszählung wiinsche lferrn Nettke
zu sprechen, ins Wohnzimmer trat. Lieschen ahnte sofort, daß
ihr Arthur es sei, der unter dicser Maske ins ksaus komme,
und ihre Ahnung wurde ihr zur Gewißheit, als sie dem vater,
der in sein Zimmer ging, wohin cherr Dr. lNeinert vom Mädchen
gefiihrt wordeu war, Blicke nachsandte und dabei ihren 5chah
erkannte.
„Bitte wollen §ie nicht jdlatz nchmen," sagte liebenswiirdig
kserr Nettke zu dem wartenden Dr. lNeinert.
„G bitte, ich mill nicht stören l Ich will mir nur erlauben,
einen Blick in die Liste zu werfen, die sicher von Ihnen ordnungs-
gemäß ausgefnllt ist. Ls ist das meine Pflichtl"
„Bitte sehr, ich weiß das wohl, mein lserrl Aber nehmen
Sie doch dabei Platz! Sie unterziehen sich da in liebenswiirdiger,
opsermutiger lVeise eiuer gemeinniitzigen pflicht im Dienste der
Gesamtheit, und da bitte ich Sie, es sich wenigst so bequem
wie möglich zu machenl"
„Ich danke Ihnen sehr, kserr Nettke, fiir ihr licbensmiirdiges
Lntgegenkomincu. Sie glauben nicht, wie angenehm es uns
beriihren muß, auf so vicl verständnis siir die Bedeutung der
volkszählung zu ftoßen. Leider ist das nicht überall der Fall.
Die kserren Aaufleute sind ja aber in der Regel weitblickend
gcnug, dieses verständnis zu haben. Vor einer Stunde war
ich jedoch bei cinem Gelehrtenl Ich kann Ihnen sagen,
kjerr Nettke, wcnn ich nie wicder volkszähler bin, in meinem
Leben, so hat es dieser lserr auf dem Gewissen. So unhöflich
war der Manu. Lr meinte, daß die ganze volkszählung nur
den Zweck habe, neue Stcueru ausfindig zu machen. Man sollte
nicht glauben, daß ein gelehrter Mann solchen Unsinn aus-
sprechen kannl"
„Ia, die Gelehrtenl" rief nun kjerr Nettke ganz sreudig
crregt, eine gleich gestimmte Seele gefunden zu haben, aus,
„diese Gelehrtenl Und dabei blicken sie hochmiitig auf uns
Uaufleute herabl"
„Na, kjerr Ncttke, das dürfen Sie wohl nicht von allen
behauxtenl Ich selbst bin ja auch
Gelehrter, — ich bin philologe,
Gymnasialoberlehrcr, — aber ich
schätze den Aausmannstand mit
seinem weiten Blick, seinem kühnen
Unternehmnnasgeist, der erst der
wissenschaft Raum und Nahrung
zum Leben gibt. was wäre die
welt ohne den tüchtigen Aausmann-
stand, dcr die völker verbindet?
Nichts I Nach meiner Meinung hat
überhaupt keine wissenschaft irgend
cinen Zweck, wenn sie nicht dem
lsandel und wandel der Menschen
sich nutzbar zu machen weiß. Gerade
wir philologen, ljerr Nettke, sollten
das beherzigen, — und jeder lüchlige
Philologe thut es, — um dic Iugcud
nicht sür die Schule, sondern siir
das Leben zu unterrichten."
Dr. Uleinert hattedas mit großer
Wärme gesprochen, scine Augen
lcuchtetcn, und lserr Nettke, der
im erften Augeublick gauz verbliifft
gewesen war, erwiderte nuni
„Das sreut mich, ljerr Doktor,
solche Ansichten zu hörenl Und
gcrnc hörc ich von Ihncn, daß auch
andere Philologcn Ihrer Meinung sein sollten. Ich habe
leider in meiner Familie nicht den Beweis dafiir. Mein Bruder
ist auch Philologe —"
„Ach, wohl der bekannte Gymnasialprofessor Nettke in T.?"
„Ia wohl, kennen Sie ihn?"
„G jal Der — doch ich will Ihnen nicht weh' thun —"
„Bitte sprechen Sie ungeniert, ljerr Doktorl"
„Nun, er ist ja bekannt, in der philologenwelt als ein sehr
gelehrter ljerr, aber ebenso auch als ein Mann, dessen Gelehrten-
dünkel sehr groß sein soll. Lr hat ein xaar griechische Schul-
bücher herausgegeben und glaubt nun, wer weiß wie die lvissen-
schaft gefördert zu haben. Aber was er kann, das kann schließlich
jedcr, nur macht nicht jeder gleich so viel wesen davonl"
„Sehen Sie, kjerr Doktor, das sieht meinem Bruder ähnlichl
Er ist ein ganz dünkelhafter Gclehrter, der mit seiner ganzen
Gelehrsamkeit nicht den ljund vom Gfen locken kann und doch
anf mich hochmntig herabblickt. Und nun können Sie es sich
erklären, wie ich durch solch einen Bruder gegen die Gelehrten
im allgemeinen eingenommcn bin und können es vielleicht
ermessen, wie ärgerlich ich war, als ineine Tochter mir neulich
erklärte, sie wolle auch solch eiuen Schulmeister heiraten."
„Nun, vielleicht ist der ein ganz vernünftiger Mann, ljerr
Netikel"
„Nein, das glaube ich nichtl Aber Sie können mir vielleicht
über ihn Auskunft geben. Ls ist ein Gberlehrer Dr. Arthur
Meinert. Aennen Sie den Aollegen vielleichtl"
„G, gewiß kenne ich denl Ich stehe ihm sogar sehr nahe.
Aber gerade deswegen möchte ich nicht gern ein Urteil über
ihn abgeben. Nur so viel kann ich Ihnen sagen, daß er über
den Uausmannstand genau so denkt, wie ichl"
„Na, das freut mich zu hörenl Aber gleichwohl halte ich
nicht viel von Ihrem Kollegenl"
„Und wenn ich sragen darf, weshalb nicht?"
„Das will ich Ihnen gern sagenl Sehen Sie, nach meiner
Ansicht darf ein rechter Uiann sich nicht hinter cinem Utädchen
verstecken. Sehen Sie, der Dr. Nkeinert hat meine Tochter
kennen gelernt, und die Leutchen verliebten sich ineinander.
Trost.
falltossclheld (ei"c l,äusliche Scene bei Sekunnlen erblickend): „SchaU, schail, der ist ja N 0 ch
v erheira tete r als ich!"