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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0026
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22

Meggendorfers Humoristische Blätter.


barer Schrei — er sah die Geheimrätin in den wellen ver-
schwinden. Ghne sich zu besinnen, in voller Uniform, sprang
er ihr nach. Lndlich hatte er sie, und trotz ihrer neunzig Kilo trug
er sie sicher ans User. — Lchluchzend umarmte ihn der dank-
bare Gatte l Nein Sohnl Niein 5ohnl Ua hast Du Deine Glla.

. Trage sie eben so sicher durchs Leben, wie Du ihre Mutier
durch die Fluten getragen hast. — Ach es war himmlisch l
Aber um so schrecklicher war das Lrwachen. — So fried-
lich lag draußen im goldigen Schein der Norgensonne die See.
— Da gab es nichts zu rettenl

Lin Rönigreich für ein großes Lreignis I
Niedergeschlagen erschien er beim Thee. Frau Rlärchen
war etwas verschnupft.

„Du hast mich schön versetzt, gestern Abend," sagte fie, „Dir
werde ich bald wieder eine
Psirsichbowle anrichten. —

Aber zur Strafe laß' ich
Dich heute den ganzen
vormittag nicht los. Du
kannst mit Rurtchen an den
Strand gehen und ich komme
später nach."

„Ich? UUt Aurt an
den Strand?" rief Egon
entsetzt. „Das fehlte gerade
noch I"

„Ia natürlich I Das
Fräulein ist krank. Das Rind
ist an die Seeluft gewöhnt.

Etwas wirst Du doch wohl
für Deine arme Schwester
thun können."

Lgon mochte sich sträu-
ben, soviel er wollte. Dies-
mal ließ Frau Rlärchen ihn
nicht entwischen, und als
Rurtchen mit dem Inftinkte
des Aindes seinen Gnkel-
stolz zu reizen verstanden
hatte, fand er sich schließlich
in sein Schicksal. Der kleine
vierjährige Blondkopf sah
aber auch wirklich drollig
aus mit seinen bvaden-
strümpfchen über den drallen,
braungebrannten Beinchen,
den kurzen blauen bföschen,
dem blau- und rotgestreiften
prallansitzenden Sweater und dem keck in den Nacken geschobe-
nen Matrosenhut. Man konnte sich schon mit ihm sehen lassen.

Dennoch zog sich Lgon, nachdem er seinen Neffen in der
benachbarten Sandgrube untergebracht hatte, auf alle Fälle in
den Strandkorb zurück. von dort aus konnte er den ganzen
Strand überschauen bis weit hinüber nach dem Damenbad.

In wehmütiger Erinnerung dachte er wieder an den schö-
nen Traum. Ach, wenn doch jetzt eine Sturmflut käme I —
Ls geschieht doch zuweilen, daß Träume in Lrfüllung gehen. —
Immer tiefer versank er wieder in die Gedanken, mit
heißem Bemühen nach dem großen Lreignis suchend, das ihn
mit einem Schlage in den Besitz der Geliebten bringen sollte.

Da war es ihm, als sehe er in der Ferne einen violetten
Fleck aus den gelblichen Tönen des Dünensandes auftauchen. —
Allewetter l — Sollte das eine gute Vorbedeutung sein? —

Da wurden auch der graue Lylinder und das Strohhütchen
mit dem roten Bande sichtbar.

Geheimrats waren also in Sicht, und es fehlte nur noch
der Grkan, der die Katastrophe für eine rettende That vorbe-
reitete. Sie gingen gerade auf ihn zu, in höchstens fünf Mi-
nuten mußten sie bei ihm sein. —

Ihm klopfte das kserz.

was konnte sich in der nächsten viertelstunde nicht alles
ereignen I

In dieser spannungsvollen Situation tauchte plötzlich Rurt-
chen wieder auf, den Lgon natürlich bereits ganz vergessen hatte.

„Gn —kelll" rief der Rnabe mit angstvoller Gebärde aus
seiner Sandgrube hervorstürmend I Gn—kelll Schnell l"

Lgon suchte ihm abzuwinken; aber Rurtchens durch viel-

sagende Gebärden unter-
stütztes Gebrüll überzeugte
ihn nur allzubald, daß hier
ein schwerer Fall von Vnkel-
pflicht vorlag, so schwer, daß
er in keiner lveise darauf
vorbereitet war.

„Ich kann Dir nicht
helfen, Iunge," rief er mit
unterdrückter Stimme,
„warte bis Deine Mutter
kommt I"

Aber Rurtchens ganze
Lfaltung verkündete mit un-
heilvoller Bestimmtheit, daß
jede verzögerung ein entsetz-
liches Unglück heraufbeschwö-
ren mußte, und so blieb dem
verzweifelt um sich blickenden
Leutnant nichts übrig, als
die von Rurtchen verlangte
Trennung der oberen von
den unteren Rleidungsstücken
so gut als möglich vorzu-
nehmen und so die dem
natürlichen verlauf sich ent-
gegensetzenden bfindernisse
aus dem lvege zu räumen.

Lndlich war das unge-
wohnte lVerk vollbracht.
Rurtchen zog sich in beschleu-
nigtem Tempo in eine ver-
schwiegene Lcke zurück, und
Egon konnte aufatmend fest-
stellen, daß Geheimrats, die jetzt etwa auf dreißig Schritt heran-
gekommen waren, nichts bemerkt hatten.

lvenn jetzt das gute Rurtchen sein lverk nur einigermaßen
gründlich vollbringen würde, konnte der ganze Zwischenfall
ohne Unheil vorübergehen. Nur mußte natürlich jeder Aufent-
halt vermieden werden. — Sie durften ihn überhaupt gar nicht
zu sehen bekommen.

Mit raschem Entschluß trat er hinter den Strandkorb, um
von dieser Deckung den weiteren verlauf der Dinge abzuwar-
ten. — Er konnte Ella jetzt ganz deutlich erkennen. lvie ihm
das lferz blutete bei diesem Anblickl — Aber gesehen hatten
sie nichts.

Ietzt waren sie gerade in der Luftlinie zwischen seinem
versteck und Rurtchen. — Noch wenige Augenblicke und die
Gefahr war überstanden.

Da, ein jubelndes Gebrüll: „Gnkell Gn—kelll"

Zerstreut.

— „verzeihen Sie, bserr j)rofessor, ist Ihr lherr Sohn vielleicht zu

lfaus?"

— „Ich glaube kaum, doch warten Sie einen Augenblick, ich werd'

ihn 'mal selbst drum fragen."
 
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