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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0061
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Meggenüorsers humoristische Blätter.

57

Uach öer Uatur.

l)umorcske vem Jos. HerrmlNliisdorser.

in Stammtisch der tvirtschaft zuin „goldenen Schas" in
B. herrschte eines Abends eine sonderbare Stiininung.
„Kauin glaublich," sagte der dicke Axotheker, „wenn

mir's einer erzählt hätte," und dabei schielte er zum Gberförster

hinüber, „ich würde gesagt haben: Unsinn, das gibt es nicht;
das ist eine verleumdung, eine böswillige Entstellung, eine
Lhrabschneiderei . . ."

„Mir geht es genau so wie Ihnen," unterbrach ihn der
Lserr Zollverwalter, „ganz genau so; iminer inuß ich das Blatt
in die ksand nehmen und mich überzeugen, ob ich mich nicht
täusche." Dabei zog er aus seiner umsang- und inhaltreichen
inneren Rocktasche ein jdaket Zeitungen, alte Briefe, zusainmen-
gelegte Akten rc. rc. hervor und suchte in seiner, durch längere
jdraxis im Zolldienste angenommenen schnüffelnden Art in der-
selben herum, um endlich die neueste Nummer des B.'schen Anzei-
gers für B. und die umliegenden Grtschaften herauszufingern.

„Aber da steht es, da steht es schwarz auf weiß, es beißt
die Maus keinen Faden ab, es ist doch wahr," sprach er, indem
er die Zeitung nach Art der Fernsichtigen weit von sich weg
hielt und die ganze Geschichte, die alle so in Aufregung und
Spannung versetzte, leise vor sich hinlas.

„lvas sagen S' jetzt da dazu, meine kferren?" sagte er, in- j
dem er fragenden Blickes einen nach dem andern der ganzen Tisch-
gesellschaft ansah. Der Lserr Zollverwalter war der zuletzt Ange-
kommene und daher am wenigsten an der Debatte beteiligt gewesen.

„lvas kann man da sagen," entgegnete der gemischte
lvarenhändler Ambrosius Nägerl, „was wir alle schon gesagt
haben, heutzutage kann man keinem Nenschen mehr trauenl
Da haben die Leute ein xaar Rröten, dann drehen sie auf
damit, daß man meinen könnte, der Rothschild ist ein armer
Fretter dagegen; wenn dann ihre paar Batzen gar sind, dann
können s' nicht einmal mehr ihren bürgerlichen, staatserhaltenden
pflichten nachkommen. Eine Schande ist's, meine Lferren," so
fuhr er mit gehobener Stimme fort, „eine Schande ist's für den
ganzen Stammtisch, daß diese Geschichte passiert ist. Mir hat
der Mensch eigentlich schon nie recht gefallen, ich hab's aber
bloß wegen der Eintracht, die ja immer bei uns geherrscht hat,
nicht sagen wollen. Ein Mensch, der keinen ordentlichen Beruf
hat, so ein Spintisierer, der bloß in den Tag hineinlebt, der
paßt nicht zu uns. Und denken Sie sich, wie unverschämt der
Mensch noch ist. Geh' ich da heute Nachmittag ein wenig
spazieren, denn die Sache, wie ich es gelesen habe, hat mich
wirklich aufgeregt, begegnet mir der Mensch und grüßt mich mit
einer vertraulichen Liebenswürdigkeit, wie wenn gar nichts
passiert wäre. Ich hab's ihn aber merken lasfen."

lvährend dieser Rede des kferrn Ambrosius Nägerl geht
die Thüre auf, und ein neues Mitglied vom Stammtisch im
„goldenen Schaf" erscheint.

„Guten Abend, meine kjerren," begrüßt er die Anwesenden,
nimmt sich einen Stuhl und setzt sich an die Tafelrunde.

„Guten Abend, kferr Assistent," wird ihm entgegnet.

Noch hat der kferr Assistent sein Stammkrügel nicht bekom-
men, als er schon von verschiedenen Seiten gefragt wird: „Na,
wisfen Sie es auch schon?"

„lvissen, was wissen, ich war den ganzen Tag über aus-
wärts und komme direkt vom Bahnhof; was gibt es denn?"

Das Blatt wird ihm gereicht, der ominöse Artikel gezeigt
und er will für sich still zu lesen anfangen.

„Lesen Sie es nur laut, lesen Sie es nochmal vor," ersuchen
ihn einige, und der Ljerr Assistent fängt laut zu lesen an:

Zwangsversteigerung.

Nächsten Samstag den 2H. November tgoo, vormittags
to llhr, versteigere ich gegen Barzahlung auf dem Zwangswege
in der lvohnung des Schriftstellers Rarl Neumann, lvasfer-
ftraße tN, folgende Gegenstände: t Diwan mit Roßhaarfüllung,
t vertikow, Nußbaum fourniert rc. rc.

B . . ., den 20. November jgoo.

Brachmann, kgl. Gerichtsvollzieher.

„Der Neumannl" sagt der mit einem Ausdruck höchster
Ueberraschung, „jetzt das verftehe ich nicht; der hat doch Geld,
soviel ich weiß. Ia warum ist denn der eingeklagt worden?"

„lveil er seine Steuer nicht zahlen konnte," wird ihm er-
widert.

„Aber lächerlich, ich weiß, wie er fatiert hat, das gibt es
gar nicht, er hat ja beim Bankier lvertheimer mindestens
dreißig- bis vierzigtausend Mark liegenl"

„Sagen Sie ruhig, liegen gehabt," entgegnet der gemischte
lvaren- und Delikatessenhändler, der überhaupt das große lvort
führt, „ich hab' mich persönlich bei lvertheimer erkundigt und
der sagte mir, Neumann habe schon vor drei lvochen seine
Gelder erhoben und er habe keinen pfennig mehr bei ihm
liegen. Der feine Lferr wird halt jdassionen gehabt haben, und
das Gerstl ist dabei draufgegangen. So 'was kann ja heutzutage
eigentlich keinen mehr wundern, die Leute treiben es ja ge-
radezu tolll"

„Mir ist er vom letzten Tarock her noch zwanzig ffffennig
schuldig," seufzt der lferr Lehrer.

„Die können Sie sich jetzt auf den Hut 'naufstecken," höhnt
der Axotheker.

„lvas wird dann nun aus seiner verlobung?" fragt der
Gberförster, der noch der ruhigste bei der ganzen Gesellschaft ist.

„Ist schon so gut wie gelöst," entgegnet der kferr Sekretär,
„seine Braut, d. h. jetzt Lxbraut, ist eine verwandte von mir
und war heute schon bei meiner Frau, um es uns mitzuteilen.
Sie hat ihm bereits abgeschrieben."

„Da hat er ja eigentlich noch ein Schandglück," brummt
der Gberförster, „daß er die alte lfeugeige — wollt' sagen das
Fräulein Rosa angebracht — wollt' sagen nicht gekriegt hat."

„Ist nicht so stark, Lserr Gberförster, das mit dem Alter,"
erwidert pikiert der Sekretär, „mancher wäre froh, wenn er so
ein anständiges, braves Mädchen zur Frau bekommen könnte."

„Mich wundert eigentlich, daß er noch keinen von uns an-
gepumxt hat," meint der Apotheker dann.

„lvird schon noch kommen," sagt der Lehrer.

„Mich, wenn er anpumpen wollte, darauf thät' ich mich
wirklich freuen, ich thät' ihm so schön den Standpunkt klar machen."

von neuem entsxinnt sich eine Diskussion, die Gemüter
erregen sich immer mehr und mehr, haarsträubende Geschichten
aus der vergangenheit Neumanns werden erzählt. Der lferr
Assistent hat bereits herausgebracht, daß Neumann ein unehe-
liches Rind ist, der gemischte lvarenhändler behauxtet steif und
fest, daß eine Schwester Neumanns eine, wie er sich vorsichtig
ausdrückte, „sehr, sehr bewegte vergangenheit" hinter sich habe,
jedem, mit rühmlicher Ausnahme des Dberförsters, fällt eine
 
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