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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0063
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

59


Nach !

aufheiterte, daß er ein paarmal kräftig auf den Lisch schlug,
so daß die Gläser wackelten, daß er sogar ab und zu das wort,
„Teuselskerl," und ähnliches aussprach und daß zum Schlusse
der Lrzählung die beiden smollis tranken.

Der erften Flasche folgte natürlich eine zweite, der zweiten
nach Adam Riese eine dritte, und der dritten, bloß um die
gerade Zahl voll zu machen eine vierte.

Nachdem nun „die gerade Zahl" voll war, waren die beiden,
wenn auch nicht ganz, so doch ziemlich voll, und verließen in
sehr vorgerückter Stunde das Lokal.

Der nächste Tag verging, Neumann ließ sich jedoch diesmal
nicht am Stammtische sehen. Lbenso die solgenden Tage nicht.

„Lr hat es doch gemerkt, daß ec in unserer Gesellschaft
nicht mehr geduldet wird," bemerkte Ambrosius Nägerl am
Stammtisch.

„Und doch soll er während der Zeit einmal, und zwar in
Gesellschaft eines kserrn aus unserer Nitte, ziemlich angetrunken
nach ksause gegangen sein," sagte ein anderer.

„Na, mit mir nicht," sprach Nägerl, mit einer würde und
ksoheit, die man einem gemischten Delikatessenhändler gar nicht
zutrauen sollte.

„Morgen ist ja die Versteigerung, werden einige der kserren
vielleicht hingehen?" sragte der Apotheker.

„Eigentlich sollte man ja in eine solche Lasterhöhle den Fuß
nicht setzen," meinte einer; „aber möglich wäre es, daß ich viel-
leicht meine Frau hinschickte."

Als nun am andern Tage die Nersteigerung wirklich war,
konnte man die ganze Gesellschaft samt Frauen in der lVoh-
nung des Schriftftellers finden. Mit der bekannten Neugierde des
jdrovinzlers wurde Neumanns lvohnung ausvisitiert.

Der Gerichtsvollzieher kam, und die Versteigerung begann.
Neumann war selber anwesend, was die srommen Gemüter der
Anwesenden hoch empörte.

„Der lNensch muß doch gar kein Taktgesühl haben," äußerte
Nägerl ziemlich laut zu seiner Frau.

„Lin wahres Glück, daß Rosa nicht diese verbindung ein-
gegangen ist; sie hat den Menschen zwar nie recht leiden mö-
gen, aber doch mit ihrein guten lserzen seinem ungestümen
Drängen nachgegeben; Gott, wenn ich denke, wie mein Kind
unglücklich geworden wärel" sprach die lNutter, eine Dame,
der man schon vom bloßen Ansehen alle schönen Ligenschasten
einer Schwiegermutter anmerken konnte.

Ausfallend war, daß alles unglaublich hoch von einem
Iägerburschen eingesteigert wurde, der auch sofort die Stücke
in seine lvohnung schaffen ließ. Als er selbstredend darum
gefragt wurde, äußerte er, er gedenke sich baldigst selbständig
zu machen, im übrigen sei das seine Sache und gehe niemand
etwas an.

Tags darauf machte Neumann eine Reise und war längere
Zeit fiir die Stadt B., und selbstverständlich auch sür den
Stammtisch im „goldenen Schaf" unsichtbar. Am Stammtische
selbst sprach man nicht einmal mehr von ihm.

Nur am achtundzwanzigsten eines jeden lNonats seufzte der
Lehrer und sprach Neumanns Namen aus; es war wegen der
zwanzig jdfennig, die er noch von ihm zu bekommen hatte.

So verstrichen gut dreiviertel Iahre.

Lines schönen Abends erhielten die Stammtischler ein ein-
geschriebenes jdaket mit der Aufschrift: „An die verehrl. Stamm-
tischgesellschaft im goldenen Schas z. B."

Als der präses, der gemischte Delikatessenhändler dasselbe
öffnete, kam ein Buch und ein Brief zum vorschein.

Allgemeines Lrstaunen.

„was gibt es denn? I" — „Zeigen Sie einmal her." — „Lesen
Sie doch erst einmal vorl" rief man durcheinander.

„Nur langsam," sprach Nägerl, öffnete zunächst das hübsch
eingebundene Buch und sah erstaunt das Bildnis des verfassers
an: es war Karl Neumann.

Das Buch trug den Titel: „Geschichten aus einer kleinen
Stadt." Darunter war mit Tinte geschrieben:

„Den lieben philistern von B., der ehrsamen Tafelrunde im
goldenen Schaf, ist dies Buch in Dankbarkeit vom verfasser
gewidmet."

Rasch erbrach Nägerl das Schreiben und las mit wutbeben-
der Stimme vor:

„lverke lserrenl

Lin scheinbar verschollener sendet Ihnen das Zeichen seines
Daseins. Aus Dankbarkeit sür Ihre lNithilse zu meinem Buche
„Geschichten aus einer kleinen Stadt" erlaubt sich derselbe, Ihnen
ein Lxemxlar in treuer Anhänglichkeit zu widmen. Sie alle, meine
lserren, ausnahmslos alle, haben treulich dazu beigetragen da-
durch, daß ich die einzelnen Lharaktere, so wie ich sie brauchte,
teils in der Bierduselei, teils in der hohen jdolitik, und nicht
zum wenigsten in ihrer hübschen Nächstenliebe, genau nach der
Natur zu schildern vermochte. wenn ich mir dabei den kleinen
Sxaß erlaubte und mich wegen nicht bezahlter Steuer psänden
ließ, so werden Sie mir dies weiter nicht verübeln; um Lharakter-
studien zu machen, dars man eben mit den Mitteln dazu nicht
wählerisch sein. Ich bezahlte absichtlich, hören Sie genau, ab-
sichtlich meine Steuer nicht, trotzdem ich mich damals und auch
jetzt in erhöhtem lNaße im Besitze eines ganz hübschen Ver-
mögens besand bezw. mich noch befinde. Durch diese lNanixu-
lation gelang es mir auch, mich aus den Alauen eines gewissen
— na, ich glaube, ich brauche den Namen nicht zu nennen, —
sagen wir kurz, eines gewissen Fräuleins herauszureißen, der ich
sonst sicher in meiner bekannten Gutmütigkeit lebenslänglich zum
Dpser gefallen wäre. Bitte auch ihr meine herzlichsten Grüße
zu übermitteln. Also nochmals meinen herzlichen Dank sür Ihre
giitige lNitwirkung. Ihr Sie verehrender

l(arl Neumann, Schriststeller."

Nachdem Nägerl zu Lnde gelesen, fühlte er das Bedürfnis,
ein wenig an die Luft zu gehen. Auch bei den übrigen war eine
lNißstimmung eingetreten, so daß einer nach dem andern „sich
verzog."

Zuletzt blieben nur noch das Buch und der Gberförster übrig.

„Resi," sxrach er zur Rellnerin, „stellen Sie mir eine kalt,"
nahm das Buch in die Lsand und begann zu lesen. llnd genau
wie bei dem letzten Zusammensein mit Neumann blieb er so
lange sitzen und las und las, und genau dieselben Ausdrücke,
wie „ein Teuselskerl" w. entschlüxften seinen Lipxen, lachen mußte
er bei einzelnen Stellen, daß ihm die Thränen in den Augen standen,
denn er erkannte alle wieder, alle die lieben fchilister, den ge-
mischten lvaren-und Delikatessenhändler,den Axotheker, den Lserrn
Assistent, den lserrn Lehrer, Sekretär, das Frl. Rosa samt Mama :r.

Nach der dritten Flasche packte er das Buch in die Tasche
und trollte nach lsause. Lr war der sicheren lleberzeugung,
daß keiner der andern, ausgenommen im geheimen, das werk
Rarl Neumanns lesen würde.
 
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