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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0073
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Meggendorfers Hurnoristische Blätter.

69

Aur immer praklisch.

von Arthur Achleituer.

n der guten alten Zeit war es, etwa um die Mitte der
dreißiger Iahre, da residierte in einer Amtsstadt ein
iiberaus praktischer, alter Landrichter, der nach der da-
maligen Mrganisation Richtcr und oberster verwaltungsbeamter
des Bezirkes in einer person war, und mit seinem ersten Assessor
nicht eben in bester ksarmonie lebte. Nach Ansicht Sr. Gnaden
des bserrn Landrichters arbeitete der bserr Assessor zu langsam
und werde mit der Arbeit nicht sertig.

Den Assessor wurmte die öfter erteilte Riige; wochenlang
sann er darüber nach, wie dem Norgesetzten bewiesen werden
könnte, daß die Arbeitslast eben zu groß sei und nicht iin tsmpo
fnrioso bewältigt werden könne. Alles Sinnieren blieb vergeblich,
der Landrichter rüsfelte weiter, ja er verstieg sich zu der Be-
hauptung, daß es dem Assessor an der richtigen praxis sehle.

Dieser vorwurf brachte eine Idee zum reifen; der Assessor
will den Nachweis liesern, daß nicht nur seine Arbeitslaft zu
groß sei, sondern auch der Landrichter selbst trotz aller Amts-
praxis ihrer nicht herr werden könne. )n Aussührung dieser
Idee suchte der Assessor alle in den Akten schwebenden Lälle
säuberlich zusammen und schickte an über ein Dutzend parteien
die vorladung zu Gericht auf einen vormittag.

Der Tag kam, und früh morgens ließ sich der schlaue Assessor
krank melden.

Im Gerichtshause wimmelte es von „geladenen Menschen",
Bauern, Burschen und Mädchen hockten aus den Bänken des
vorplatzes, standen im Aorridor
herum, schwatzten und schimpf-
ten, das letztere natürlich nicht
laut, denn der Respekt vor dem
„kserrgott" des Landgerichts-
bezirkes ist riesengroß.

Bestürzt ob der großen Nen-
schenansammlung fragte der Ge-
richtsdiener herum, ob denn
wirklich diese vielen parteien
auf diesen vormittag vorgela-
den seien. Die Leute" zeigten
Litations-Zettel vor, die Sache
hat also ihre amtliche Richtigkeit.

Lin pech ist es aber, daß der
Assessor gerade heute krank sein
muß. Der Gerichtsdiener meldet
dem Landrichter, daß eine wahr-
haftigeMassenansammlungstatt-
gefunden habe und die vielen
vorgeladenen Menschen um Tr-
ledigung ihrer diversen Anlie-
gen bitten möchten.

Seine Gnaden blieben ganz
gelassen und äußerten: „Nur
immer praktischl Das macht
gar nichts, es geht auch ohne
den Assessor, wir werden bald
fertig seinl Die erste partei
soll hereinkommenl"

Der Gerichtsdiener sührt
einen Burschen und ein dralles
Mädel in die Aanzlei des ge-
strengen, gefürchteten Landrich-
ters und überreicht §r. Gnaden
die vorladungszettel.

Der Landrichter erkennt den Burschen sogleich: „Ah, der
Parasol-Franzll Gerichtsbekannte persönlichkeitl Immer die
alte Geschichte von der Lustbarkeit, die nichts kosten soll l Bloß
das lveibets ist alle Zahr ein anderesl Meinst Du denn, das
geht alleweil so sort? peh, Gerichtsdiener, führ' Lr die zwei
ab, geb' Lr jedem zehn Stockstreiche, aber ordentlichel"

Der erschrockene parasol-chranzl wimmert vor Angst und
bittet, man möge von der Prügelstrafe Abstand nehmen.

Das Mädel vollführt einen Aniefall und sleht um Erbarmen.
„pinaus! Und auf die Gerichtsbank mit Luchl Zehn
piebe sür jedesl" Der Gerichtsdiener schlexpt das zeternde
paar hinaus, und bald dringt das Geheul der Iustisicierten durch
alle Räume des Gerichtsgebäudes. lvieder vor den Landrichter
gebracht, zeigt sich der srüher bockbeinige Bursche zum gewünsch-
ten vergleiche bereit, der Fall ist in wenigen Augenblicken er-
ledigt und slink diktiert der Landrichter das vergleichsxrotokoll.
„Nur immer xraktisch l Der Assessor wird es niel"

Das paar verschwindet in aller Lile. Der Landrichter
schellt und befiehlt dem eintretenden Gerichtsdiener, nunmehr
die nächste partei hereinzulassen.

Gehorsam geht der Diener hinaus, kommt wieder in die
Ranzlei und meldet: „Gehorsamst Lw. Gnaden aufzuwarten,
es ist niemand mehr draußenl"

Befriedigt sagt der Landrichter: „Na also I Zch hab's
ja gewußt l Nur immer xraktischl"

Der A'laid ats Lebensreller.
 
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