Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0100
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
96

Meggendorfers Humoristische Blätter.


Zwei Tage später saßen kserr Sebastian Kugelmann und
Fräulein Rlementine Muhle in hergebrachter weise bei Lene
und peter und unterhielten das holde Pärchen durch Geschichten
und pantomimen. Mitten in einem gräßlichen Lisenbahnun-
glück wandte sich Lene gänzlich unvermittelt an Vnkel Bastian
mit der Frage: „Gnkel — Mama hat einen Geburtstag und
einen bsochzeitstag, ich hab' aber bloß 'nen Geburtstag —
warum?"

„N)eil Du noch nicht verheiratet bist," erläuterte Mnkel
Bastian.

„bsast Nu einen ksochzeitstag?" sragte Lene.

„Nein," erwiderte der Titularonkel etwas schüchtern.

„Aber wenn Du Tante Tine heiratest, dann hast Du doch
'nen ksochzeitstag?" inquirierte Lene weiter.

„Dann — ja," bestätigte der Gnkel zögernd.

„Und Du doch dann auch?" wandte sich Lene an Tante Tine.

Diese nickte errötend.

„Gibt's an Deinem bsochzeitstag auch Torte und Schokoladen-
pudding un Feuerwerk?" sorschte Lene.

„Feuerwerk mit 'nem Froschl" schrie peter begeistert.

„Gewiß," sagte Tante Tine mit verschleierter Stimme.

„Dann heirate doch die Tante," sorderte Lene mit hinter-
listiger Selbstsucht den Mnkel Bastian auf.

„Iawohl," schrie ^>eter, „heirate Vnkel Bastianl"

„Ich weiß, wie's gemacht wird," erklärte Lene ermutigend.
„j)axa hat mir's gesagt, da mußt Du zu Tante Tine sagen:
Ich mag Dich schrecklich gerne leiden — sag's mal, Gnkel
Bastian, aber Du mußt es auch wirklich sagen, sonst bin ich Dir
ganz böse, also sag: Ich mag Dich schrecklich gerne leiden,
Tante Tine, hast Du mich auch ein bißchen lieb —."

Vnkel Bastian hatte es noch niemals über sich gebracht,
seinem Liebling Lene einen irgendwie erfüllbaren wunsch ab-
zuschlagen. Ls war seine durch die Gewohnheit verstärkte Natur-
anlage, sich den Forderungen der Rinder zu fügen. Lr sagte
also gehorsam: „Ich mag Dich schrecklich gerne leiden, Tante
Tine, hast Du mich auch ein bißchen lieb" — dabei wurde er
purxurrot.

„Nu mußt Du sagen: Ia, von öerzen," befahl Lene der
Tante Tine, welche gegen jedes kindliche Nerlangen ebensowenig
widerstandsfähig war wie Vnkel Bastian, und daher pflicht-
schuldigst sagte: „Ia, von kserzen."

„Nu mußt Du die Tante umfassen, un die Tante muß Dich
umfassen, un ihr müßt euch einen Kuß geben," dekretierte Lene
— und es geschah also. Zwar hatte Lene nicht vorgeschrieben
daß der Dnkel und die Tante in inniger Umarmung auch
fernerhin verschränkt bleiben sollten, aber die beiden mußten
Lenes Nerordnung wohl so aufgefaßt haben, denn sie ließen sich
nicht wieder los.

„Is nu' euer Nochzeitstag?" fragte peter, welcher den
Lreignissen mit Aufmerksamkeit und zwei Fingern im Munde
gefolgt war.

Bevor hierauf eine Antwort gegeben werden konnte, rief
Lene eifrig: „Uannst Du mit der Zunge bis an die Nase, Vnkel
Bastian, und Du auch, Tante Tine?" — Denn Lene hatte sich
xlötzlich erinnert, daß die Norführung dieses Aunststückes eine
der Festfreuden am elterlichen ksochzeitstag gewesen war.

Mit freundlichem Entgegenkommen thaten kserr Augel-
mann und Fräulein Muhle der lieben Lene den Gefallen, sich
ernstlich um die Bewältigung der gestellten Aufgabe zu bemühen.
In diesem Augenblicke trat Frau Timm ins Zimmer, ohne daß

es die bereits Anwesenden bemerkten. Da Gnkel Bastian und
Tante Tine sich noch immer zärtlich umschlungen hielten, so
wäre Frau Timm keinen Augenblick im Zweifel gewesen, daß
sie ein neugebackenes Brautpaar vor sich hatte — wenn nur
die Liebesleute nicht beiderseits die Zungen lang und weit
herausgestreckt hätten. Den Zusammenhang dieser Schaustellung
mit einer Derlobung konnte sich Frau Timm nicht erklären, und
daher fragte sie: „Nun, was gibt's denn hier Schönes?"

peter fuhr erschreckt herum und brüllte in der Gewohnheit
des bösen Gewissens: „Lene is schuldl"

kserr Augelmann nebst Fräulein Braut ließen die gelösten
Zungen verschwinden und traten Hand in ksand auf Frau
Timm zu, welche diese stumme Meldung verstand und ihre
Glückwünsche aussxrach, während die lieben Rinderchen durch-
einanderschrieen:

„Der Gnkel un' die Tante haben nu' auch 'nen bsochzeits-
tag, un' Dnkel Bastian läßt 'nen Frosch losl"

Änergisch.

Tochter (schluchzend): „Mein Mann ist mir untreu, das ertrage
ich nichtl"

Mutter (besorgt).- „Du wirst doch keine Dummheiten machen?"
Tochter: „Ganz gleich, sobald wie er mir das neue seidene
Rleid gekauft hat, brenne ich ihm durch l"

Selbllerkennlnis.

Iunge Braut: „Nun. so ang'schmiert wie er mit mir,
bin ich mit ihm gewiß nichtl"

verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
In Gesterreich-Ungarn für kserausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lVien I.
Verlag von I. F. Schreiber in München und Etzlingen.
 
Annotationen