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Meggendorfers Humoristische Blätter.
Nun glaubte jeder von den Unter-Pcimanern mit der vor-
sicht es nicht mehr so genau nehmen zu müssen. In den näch-
sten Tagen sah man in den hinteren Bänken Aöxfe, die an-
haltend nach unten gafften; denn auf dem Schoße lag eine
„Sxicke" aus Reklams Universalbibliothek.
Dennoch sollten gerade die kecksten Spicker nicht hereinfallen,
sondern ein harmloses Ltreberlein, Bücherwurm geheißen, das
sich immer, selbst seinen Mitschülern gegenüber, so gerierte, als
benütze es keine Uebersetzung.
Streberlein Bücherwurm war nur mittelmäßig begabt. Es
kam jeden Tag aus einem nahe gelegenen Städtchen in die
Rreishauptstadt hereingesahren und auf dem langen N)eg,
welchen der Lisenbahnzug nahm, konnte es sich mit bsilfe der
Uebersetzung noch gemütlich auf die Lektüre des Ulassikers vor-
bereiten.
Linige Tage nach dem Deckelerbruch trug es seine Ueber-
setzung wohl verwahrt in der inneren Tasche seines lVamses.
Allein das rote jdapier der Reklamschen Universalbibliothek
schimmerte zu grell im Morgenlicht der 5tunde von acht bis
neun. Der Lserr Prosessor bemeikte es, zog das Büchlein mit
gewandtem Griff heraus und sing an: „So, so, auch Du, mein
Brutus, hältst solche Sachen; ein Schüler, den ich sür fleißig ge-
halten, betrügt mich in solch heuchlischer lveise. U)enn das am
grünen Lsolz geschieht, was soll man erst vom dürren halten?"
Diese worte hat kserr Molinarius noch mit Mäßigung ge-
sprochen, nun aber sing er wieder an, fahl und blaß im Gesicht
zu werden und schien zu zittern, indem er sich an die ganze
Alasse wandte:
„Ietzt bin ich sicher, daß die ganze Alasse Uebersetzungen
benützt, das ist einsach unqualisizierbar." Das letzte Wort war
nur mehr ein heiseres Urächzen, das ihm halb in der Gurgel
stecken blieb.
In dem Gehirn des Tchlaukopfes ksaselmeyer aber erzeugte
sich in diesem Augenblick bereits ein Rachegedanke.
Da Lserr Molinarius am Schlusse der Stunde immer vor
seinen Schülern die Alasse verließ, so konnte man genau acht
geben, ob er nun auch die Spicke aus seinem jdult entserne.
Das Lnde der Stunde kam, und der Professor schlug das auf
dem Ratheder liegende Buch zu, zum Zeichen, daß die lherren
jdrimaner entlassen seien.
„Nun, warum geht ihr nicht?" kam es eigentümlich zögernd
und halb erzürnt und verlegen von seinen Lippen.
Alle verließen das Alassenzimmer.
Es hatte zwölf geschlagen, und alles in der Stadt des könig-
lichen Gymnasiums rannte zum Mittagessen. Nur Schlaukopf
bsaselmeyer ging wie einer, dessen Gehirn ein intenstver Ge-
danke beschästigt und der vor Ungeduld sich nicht meistern
kann, mit erzwungener Gleichgiltigkeit im Korridor auf und ab,
um zu warten, bis Lserr Molinarius das Klassenzimmer ver-
lassen habe.
Dann ging er eilends hinein zum Katheder, drückte mit
geschicktem Griff den Deckel, der leicht aus seinem Verschluß
sxrang, aus und — o Graus l Die Spicke lag nicht mehr darin.
„Aber warte nur!"
Lr ging sosort zuin Buchhändler und kauste sür zwanzig
psennig, die er sonst zum Linkauf zweier Knackwürste zu
benützen pflegte, „Ticero, über die Freundschaft" aus Reklams
Universalbibliothek und legte das Büchlein unausgeschnitten
sorgsam hinein, aus denseiben jdlatz, wo das srühere gelegen hatte.
Keiner von seinen Mitschülern war in der Alasse. Ganz
allein, ohne daß es einer seiner Kommilitonen sah,
übte er Rache sür alle.
Als die übrigen vom Mittagessen zurückkamen,
weihte er die Berufensten unter ihnen in sein Ge-
heimnis ein und trug ihnen auf, sich am nächsten Tag
würdevoll zu benehmen. Acht bis neun Uhr war
lateinische Stunde. Lserr Molinarius kam und öffnete
den Ratheder, um seinen lateinischen Tert heraus-
zunehmen. N)ie er den Deckel aufmacht, schien ihm
sür einen Augenblick der Verstand still zu stehen, doch
ließ er sich nichts merken und that, als ob nichts
vorgefallen wäre.
lvährend der Stunde wac bserr Molinarius wie
noch nie.
Lehrer und Schüler kamen von nun alle leidlich mit-
einander aus, da ohnehin das Schuljahr sich dem Lnde
näherte, und auch Streberlein Büchecwurm war der
Gefahr entronnen, im Lateinischen einen Uermerk zu
bek ommen.
. cörausamer Wunlch.
— „Nun, unter welcher Bedingung will Dir der Millionär
Schmuhl seine Tochter zur Frau geben, Gras?"
Uerschuldeter Graf: „Ich soll mich hinsort Graf bsohen-
felsen-Schmuhl nennen."
Mchnung.
Auch ohne Glück bebaue wacker
Dein Feld, und glaube nie im Leide,
Daß nicht der wohl bestellte Acker,
Das gute Iahr nur, bringt Getreide.
Maximilian Bern.
Vielsagend.
— „N)ie ist wohl das Nerhällnis der Frau Meier zu ihrem
Schwiegersohn?"
— „Na, wissen Sie, als der am letzten Umzugstermin seine
N)ohnung gewechselt, konnte die Schwiegermutter die neue
Adresse nur durch die j)olizei ermitteln."
verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber, Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
Jn Oesterreich-Ungarn für Herausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lvien I.
Verlag von I. F. Srhrriber in München und Etzlingen.
Meggendorfers Humoristische Blätter.
Nun glaubte jeder von den Unter-Pcimanern mit der vor-
sicht es nicht mehr so genau nehmen zu müssen. In den näch-
sten Tagen sah man in den hinteren Bänken Aöxfe, die an-
haltend nach unten gafften; denn auf dem Schoße lag eine
„Sxicke" aus Reklams Universalbibliothek.
Dennoch sollten gerade die kecksten Spicker nicht hereinfallen,
sondern ein harmloses Ltreberlein, Bücherwurm geheißen, das
sich immer, selbst seinen Mitschülern gegenüber, so gerierte, als
benütze es keine Uebersetzung.
Streberlein Bücherwurm war nur mittelmäßig begabt. Es
kam jeden Tag aus einem nahe gelegenen Städtchen in die
Rreishauptstadt hereingesahren und auf dem langen N)eg,
welchen der Lisenbahnzug nahm, konnte es sich mit bsilfe der
Uebersetzung noch gemütlich auf die Lektüre des Ulassikers vor-
bereiten.
Linige Tage nach dem Deckelerbruch trug es seine Ueber-
setzung wohl verwahrt in der inneren Tasche seines lVamses.
Allein das rote jdapier der Reklamschen Universalbibliothek
schimmerte zu grell im Morgenlicht der 5tunde von acht bis
neun. Der Lserr Prosessor bemeikte es, zog das Büchlein mit
gewandtem Griff heraus und sing an: „So, so, auch Du, mein
Brutus, hältst solche Sachen; ein Schüler, den ich sür fleißig ge-
halten, betrügt mich in solch heuchlischer lveise. U)enn das am
grünen Lsolz geschieht, was soll man erst vom dürren halten?"
Diese worte hat kserr Molinarius noch mit Mäßigung ge-
sprochen, nun aber sing er wieder an, fahl und blaß im Gesicht
zu werden und schien zu zittern, indem er sich an die ganze
Alasse wandte:
„Ietzt bin ich sicher, daß die ganze Alasse Uebersetzungen
benützt, das ist einsach unqualisizierbar." Das letzte Wort war
nur mehr ein heiseres Urächzen, das ihm halb in der Gurgel
stecken blieb.
In dem Gehirn des Tchlaukopfes ksaselmeyer aber erzeugte
sich in diesem Augenblick bereits ein Rachegedanke.
Da Lserr Molinarius am Schlusse der Stunde immer vor
seinen Schülern die Alasse verließ, so konnte man genau acht
geben, ob er nun auch die Spicke aus seinem jdult entserne.
Das Lnde der Stunde kam, und der Professor schlug das auf
dem Ratheder liegende Buch zu, zum Zeichen, daß die lherren
jdrimaner entlassen seien.
„Nun, warum geht ihr nicht?" kam es eigentümlich zögernd
und halb erzürnt und verlegen von seinen Lippen.
Alle verließen das Alassenzimmer.
Es hatte zwölf geschlagen, und alles in der Stadt des könig-
lichen Gymnasiums rannte zum Mittagessen. Nur Schlaukopf
bsaselmeyer ging wie einer, dessen Gehirn ein intenstver Ge-
danke beschästigt und der vor Ungeduld sich nicht meistern
kann, mit erzwungener Gleichgiltigkeit im Korridor auf und ab,
um zu warten, bis Lserr Molinarius das Klassenzimmer ver-
lassen habe.
Dann ging er eilends hinein zum Katheder, drückte mit
geschicktem Griff den Deckel, der leicht aus seinem Verschluß
sxrang, aus und — o Graus l Die Spicke lag nicht mehr darin.
„Aber warte nur!"
Lr ging sosort zuin Buchhändler und kauste sür zwanzig
psennig, die er sonst zum Linkauf zweier Knackwürste zu
benützen pflegte, „Ticero, über die Freundschaft" aus Reklams
Universalbibliothek und legte das Büchlein unausgeschnitten
sorgsam hinein, aus denseiben jdlatz, wo das srühere gelegen hatte.
Keiner von seinen Mitschülern war in der Alasse. Ganz
allein, ohne daß es einer seiner Kommilitonen sah,
übte er Rache sür alle.
Als die übrigen vom Mittagessen zurückkamen,
weihte er die Berufensten unter ihnen in sein Ge-
heimnis ein und trug ihnen auf, sich am nächsten Tag
würdevoll zu benehmen. Acht bis neun Uhr war
lateinische Stunde. Lserr Molinarius kam und öffnete
den Ratheder, um seinen lateinischen Tert heraus-
zunehmen. N)ie er den Deckel aufmacht, schien ihm
sür einen Augenblick der Verstand still zu stehen, doch
ließ er sich nichts merken und that, als ob nichts
vorgefallen wäre.
lvährend der Stunde wac bserr Molinarius wie
noch nie.
Lehrer und Schüler kamen von nun alle leidlich mit-
einander aus, da ohnehin das Schuljahr sich dem Lnde
näherte, und auch Streberlein Büchecwurm war der
Gefahr entronnen, im Lateinischen einen Uermerk zu
bek ommen.
. cörausamer Wunlch.
— „Nun, unter welcher Bedingung will Dir der Millionär
Schmuhl seine Tochter zur Frau geben, Gras?"
Uerschuldeter Graf: „Ich soll mich hinsort Graf bsohen-
felsen-Schmuhl nennen."
Mchnung.
Auch ohne Glück bebaue wacker
Dein Feld, und glaube nie im Leide,
Daß nicht der wohl bestellte Acker,
Das gute Iahr nur, bringt Getreide.
Maximilian Bern.
Vielsagend.
— „N)ie ist wohl das Nerhällnis der Frau Meier zu ihrem
Schwiegersohn?"
— „Na, wissen Sie, als der am letzten Umzugstermin seine
N)ohnung gewechselt, konnte die Schwiegermutter die neue
Adresse nur durch die j)olizei ermitteln."
verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber, Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
Jn Oesterreich-Ungarn für Herausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lvien I.
Verlag von I. F. Srhrriber in München und Etzlingen.