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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0140
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INeggendorfers Hurnoristische Blätler.

s ist traut im Stübchen. Mein kleines Frauchen sitzt
glückselig neben mir und ich fühle mich auch recht mollig.
Aein IVunder, wenn man erst drei Wochen verheiratet
istl Dazwischen tönt es: „sdiep, jdiep". Unser vögelchen will
uns an seine Existenz erinnern. Ia, unser liebes Vögelchen,
das unser Glück begründet hat. 5oll ich erzählen, wie es ge-
schah? Mein Frauchen ist damit einverstanden. Und das Uiätz-
chen auch? „jdiex, xiex." ksaben Sie es gehört? Das heißt
in der vogelsprache: „Ia".

Ls mag heute vier Iahre her sein. Ich hatte mein Doktor-
examen bestanden und gab meinen Freunden das „bewußte"
Fäßchen. Ich war damals noch ein rechter Bruder Lustikus,
zu den lustigsten Streichen aufgelegt. (Ietzt bin ich allerdings
sittsam geworden, gehe abends nie aus, die frohen Streiche ge-
hören der vergangenheit an. Ia, so ein Lhemannl wer's
nicht glaubt, möge meine Frau sragen.)

Also, es herrschte eine gehobene Stimmung im Freundes-
kreise. Ich glaube sogar, ich war fideler als sonst. Ganz spät
am Abend erschien noch ein „armer Reisender" im Lokal. AAr
gaben ihm reichlich, und es entspann sich ein Gespräch über die
Rentabilität des Bettlerberufes. Ich meinte in meiner Bier-
laune, dieses Geschäst sei noch nicht das schlechteste. Was
weiter geschah, weiß ich nicht, kurzum, ich wurde verurteilt,
am nächsten Tage eine Stunde „betteln zu gehen". was will
man als Bruder Luftikus dagegen thun? Ich mußte also zusagen.

Erst am andern Morgen, als die Biergeister verschwunden
waren, wurde mir das Fatale meiner Lage bewußt. Wenn
mir jemand Bekanntes begegnen würde l Doch, da kamen auch
schon die Aommilitonen, einer mit einer zerrissenen alten bjose,
der andere mit einem Lsut, so schäbig und schmutzig — na, ich
will nichts weiter verraten. Als ich die Rerls sah, mußte ich
unbändig lachen, und erst nachdem ich „eingekleidet" war. von
einem wirklichen Bettler nicht zu unterscheiden! Die Sache fing
an, fideler zu werden, als ich ursprünglich dachte.

Doch jetzt ging es auf die Tour. Die Freunde immer in
gewisser Lntfernung dahinter her, denn mokeln, das wurde nicht
geduldet. Aus der Etraße schämte ich mich doch etwas. Der
bjut wurde möglichst weit ins Gesicht gedrückt, niemand ange-
sehen und die ksände in die Taschen gesteckt.

Nun ging es los. In das erste bsaus hinein. jdarterre:
Aling, klingeling.

„Mer ist denn da?"

„verzeihen Sie, armer Reisender, lange Zeit krank gewesen."
Rrach, die Thüre slog zu I Das war entschieden unverschämt.

In der ersten Ltage ging es besser. Das Dienstmädchen
kam mit einem Räsebrot heraus und war so liebenswürdig, mir
dasselbe zu xräsentieren, weil ich sonst ein ganz hübscher junger
Mann sei. bjatte die eine Ahnungl

Zweite Ltage. Ljier warf es sogar ein paar alte Stiefel

ab. vom verstorbenen Mann, meinte die Frau. Mas sollte
ich mit den alten Stiefeln ansangen. Dieselben waren oben-
drein noch kolossal zerrissen, oben, unten, an der Seite. Und
nicht einmal jdaxier zum Einwickeln l Es blieb mir nichts an-
deres übrig, als die Stiefel in die Lsand zu nehmen. Das
Räsebrot wurde in die Tasche gesteckt und so ging es drei
Treppen hoch. Ich hatte wirklich Glück. bfier bekam ich einen
Ueberzieher, natürlich nicht einen von der besten Sorte. Da es
mörderisch heiß war, konnte ich denselben aber nicht anziehen;
ich mußte ihn also über den Arm nehmen. Ia, wenn man
betteln geht, das bringt etwas ein.

Die Freunde wollten sich krank lachen, als sie mich aus dem
bsause treten sahen. Doch ich war ob meiner bsabe stolz ge-
worden, würdigte sie keines Blickes und ging in die nächste
Thüre hinein.

Das ksaus war recht nobell Die Leute werden wohl auch
nobel sein, dachte ich im stillen. Ia, prost Mahlzeit. Ich
klingelte erste Etage. Ein Männerschritt auf dem Rorridor
wurde hörbar, und die Thüre öfiuete sich.

„U?as wünschen Sie?" herrschte mich eine barsche Stimme
an, die mir durch und durch ging.

„Armer Reisender, krank gewesen."

„wohl auch so ein Thunichtgut, der nicht arbeiten will?
Einsxerren sollte man euch Bande. Seht mir den Rerl anl
von Gesundheit strotzendl thinaus aus dem bsausel"

s3ch war auf einmal unten, — wie, das weiß ich selbst
nicht. Die Lust am Betleln war mir gründlich vergangen. wenn
jetzt ein Schutzmann gekommen wäre! was sollte ich thun?
Die alten Stiesel stellte ich in den Ljausfiur. Den Mantel, ja, was
sollte ich mit dem Mantel ansangen? warm genug war mir schon l
Ich zog ihn aber trotzdem an und trat hinaus aus die Straße.

Da hörte ich über mir einen Schrei, und auf dem Fahrweg
sah ich ein vögelchen hüpfen, kein gewöhnliches Straßentier,
— einen Ranarienvogel. Ich mußte ihn um jeden jdreis sangen,
eine prämie mußte es abwersen.

Nach einigem Bemühen war ich so glücklich, das Tier unter
meinem bsut zu haben. Blitzschnell eilte ich mit meinem Schatze
hinauf und traute meinen Augen kaum, als ich den „sreund-
lichen kherrn," der mich so liebenswürdig hinauskomplimentiert
hatte, wieder mir gegenüber sah.

„Na, Sie sind wenigstens zu etwas gut," meinte er.

„Ach, Sie schmeicheln, mein Ljerr," erwiderte ich.

„will Lr mich uzen?" xolterte er. (Lin Blick aus das Thürschild
lehrtemich, daß ich kjerrn Kommerzienrat Ackermann vor mir hatte.)

„Mein liebes, herziges vögelchenl" ries eine Stimme, und
ein junges Mädchen stand vor mir.

„Tausend Dank, daß Sie mein Vögelchen wieder gebracht
haben. j?axa, gib ihm ein gutes Trinkgeld, dem armen Menschen,
er sieht recht heruntergekommen aus."
 
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