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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0141
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INeggendorsers Huinoristische Blätier.



Also ich that ihr leid. Der kleine Käfer gefiel mir. Das
vögelchen piepte schrecklich und mein medizinisches Gefühl sagte
mir, daß dem Tierchen irgend etwas passiert sein
inüsse. Richtig, am Füßchenl Dasselbe ch

Mark, vertrinken Sie dieselben nicht," mit diesen lvorten drückte
mir der cherr Aommerzienrat das Geld in die chand.

„Und hier, von mir auch fünfzig pfennig für Ihre Mühe,"

schien gebrochen.

„Das Mätzchen scheint Schmerzen
zu haben, der Fuß ist gebrochen,
gnädiges Fräulein," bemerkte ich be-
scheiden, wie es einem Bettler geziemt.

„Ach, mein armes vögelchen!"
schluchzte das Mägdlein; „Papa, Du
mußt ihm sofort helfen, es hat große
Schmerzen."

„was soll ich denn thun, ich weiß
nicht, geh meinetwegen zum Doktor,"
knurrte der j)apa.

„Ach, der kann doch nicht helfen,"
meinte das Töchterchen und weinte
immerfort.

„ksol Dich der Teufel mit samt
Deinem Ranarienvogell" xolterte der
Papa.

„lVas wollen 5ie denn noch?"
schrie er mich an.

„lvas kann denn der arme lNensch
dafür, er hat übrigens sein Trinkgeld
noch nicht einmal bekommen," warf
das Nägdlein ein.

„lvenn die kserrschaften gestatten,
werde ich Sie zur Tierklinik führen, ich
war früher dort angestellt und weiß
genau Bescheid," bemerkte ich be-
scheiden.

„Ach, wenn Sie so freundlich sein
wollen, wir sind erst vor kurzem nach
hier gezogen und vollständig unbe-
kannt," rief das Töchterchen
erfreut. „j)axa, Du gehst
mit und der lNann begleitet ^
uns, ich muß aber dabei sein."

„Na, meinetwegen, wenn es
nicht anders geht."

„lvarten Sie inzwischen
auf der Treppe," sagte er zu
mir. Das xaßte mir nun gar
nicht — doch ich war ja „Bettler.

Nach einer lveile erschien der
vater im Lylinder, das Töchter-
chcn allerliebst angezogen, das vögel-
chen im Bauer mit sich führend. Und
ich — nun ich wäre so gern nebenher
gegangen und hätte mich mit ihr
unterhalten.

„lvollen Sie nicht bitte auf den
Fahrweg herunter gehen," bemerkte
der Rommerzienrat, „die Leute denken
sonst, wir gehören zusammen."

Ich verwünschte meinen ganzen
Anzug, doch was blieb mir übrig?
Also hinunter auf das Straßenxflaster
und nebenher getrottelt.

So langten wir denn glücklich an
der Tierklinik an.

„Ts ist gut, hier haben Sie drei

sagte das Fräulein,

Uaiv.

lUadame: „Ich habe
eben mit meinem lNann
über die diesjährige
Badereise gesprochen,

Anna, Sie sollen mitgehenl"

Dienstmädchen (erschreckt): „Ach Madame, aber
alle die kostsxieligen Badeanzüge für mich?!"

mein Taschengeld wirft leider nicht
mehr ab, aber wenn Sie einmal recht
bungrig sind, dann kommen Sie nur
zu uns."

„Ich danke bestens, meine kjerr-
schaften, Sie gestatten wohl, daß ich
Sie herein bringe."

Ghne ein wort abzuwarten, ging
ich voraus.

„Guten Morgen Lferr Doktor," be-
grüßte mich der jdortier, „aber um
des Lsimmels willen, wie sehen Sie
denn aus?"

„Sie sind ein altes Kamel," warf
'ich ihm zu, worauf er ein wenig
geistreiches Gesicht machte.

Die beiden waren schon stutzig
geworden und ich mußte die Sache
dann selbst aufklären, als ich drinnen
war und die Kollegen sich schier krank
lachen wollten ob meines Anzuges.
Daß ich mich ihnen so schnell zeigen
würde, hätten sie nicht gedacht.

Der cherr Rommerzienrat und sein
Töchterchen lachten herzlich mit. Man
könne mir überhauxt nichts übel
nehmen, bemerkte er, ich hätte meine
Sache sehr gut gemacht.

Ich hatte dann Gelegenheit, mich
am andern Tage den cherrschaften im
Frack vorzustellen und jeden Tag Be-
richt über das Befinden des vögel-
chens zu erstatten.

Da mir der lserr Kommerzienrat
überhauxt nichts übel nehmen konnte,
hielt ich nach sechs Monaten um die
chand seines herzigen Töchterchens an,
wobei es „Ia" sagte und mir um den
chals fiel. Und der j)apa sagte nicht
„Nein". So sind wir ein glückliches
junges j)aar geworden, der
Bettleranzug hängt im
Schrank und wird als
Reliquienstück aufbe-
wahrt, während wir
das vöglein mitgenom-
men haben.

Doch da hätte ich bald die
alten Stiefel vergessen, die
ich in den Ljausflur gestellt hatte. Als
ich meinem Bräutchen den verlobungs-
kuß gegeben hatte, sprang es hinaus
und brachte die „alten Stiefel" herein.
Sie liebte mich vom ersten Tage an, wie
sie nachher gestand, und hat beim Nach-
hausekommen aus der Tierklinik die
Stiesel „als Andenken" mit hinauf-
genommen und aufheben wollen. — Ia
ja, liebe Leserin, Mädchenherzen sind
unberechenbar, nicht wahr?
 
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