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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 45.1901 (Nr. 536-548)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16555#0152
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Meggend orfers Humoristische Blätter.

ver Dichter.

Endlich aber druckte ein Blatt ein Gedicht ab, zwar aus
versehen, ohne Namen des Dichters, dafür aber mit recht vielen
Druckfehlern, die das Gedicht völlig unverstLndlich machten.
Gleichwohl hatte Lgon Richter die Freude, daß das Gedicht
von zahlreichen anderen Zeitungen ohne den Namen des Dich-
ters, aber dafür mit den sämtlichen Druckfehlern, die das Ge-
dicht unverständlich machten, nachgedruckt wurde.

Freilich bekam der Dichter nicht einen pfennig für seine
Arbeit, und so darbte und hungerte er weiter, und er hätte
ja gerne noch viel ärgere Not ausgestanden, wenn er nur das
Glück HLtte genießen können, seine Gedichte in einem Bänd-
chen gedruckt erschienen zu sehen. Aber an die Erfüllung die-
ses wunsches, von dem er in seinen kühnsten Träumen zu-
weilen träumte, war gar nicht zu denken; denn daß irgend ein
Derleger umsonst, ohne Erstattung der Druckkosten, seine Ge-
dichte erscheinen lasfen würde, das war gerade so unmöglich,
wie daß Lgon Richter das große Los gewinnen könnte, denn
er war ja viel zu arm, um in der Lotterie zu spielen.

Ia, die Not stieg bei ihm immer höher und höher; alle
bfilfsquellen waren erschöpft, seine Gedichte brachten ihm keinen
pfennig Geld ein. Lr mußte also auf andere weise sehen,
etwas zu verdienen.

Da Egon Richter mancherlei gelernt hatte, bot er sich als
Lehrer an. Als man ihn aber fragte, was er bisher getrieben,
und Egon Richter da sagen mußte, er habe bisher nur Gedichte
gemacht, lächelte man über den „Lyriker", zuckte die Achseln
und wies ihn ab.

Dann meldete er sich bei der Zeitung, die sein Gedicht ab-
gedruckt hatte, und bei welcher ein Hilfsredakteur gesucht wurde.
Auch hier lächelte man, als man vernahm, daß Egon Richter
bisher nur Gedichte geschrieben habe. Indesfen stellte man ihn
versuchsweise an, unter der Bedingung, daß er außer Festge-
dichten niemals mehr dichte. Aber schon am Tage darauf
schickte man ihn wieder fort. Er hatte einen Bericht über einen
Vortrag machen sollen, dem er gar nicht beigewohnt hatte. Und
als Egon Richter eingestand, dies nicht zu vermögen, wurde
der Zeitungsinhaber ganz blaß vor wut und sagte: „N)ie, Ihr
nennt Luch einen Dichter, und habt nicht einmal so viel ^)han-
taste, einen Bericht aus den Fingern zu saugen? Macht, daß
Ihr fortkommtl"

Auch ein Buchhändler nahm ihn probeweise in sein Ge-
schäft, um ihn ebenfalls nach zwei Tagen schon davonzujagen,
als er ihn dabei ertappte, wie Egon, anstatt in die Strazzen
einzutragen, ein Gedicht, das er soeben verfaßt hatte, niederschrieb.
Und Egon Richter versuchte alles mögliche; ein kfandwerk hatte
er nicht gelernt, und um zu einem Schuhmacher oder einem
anderen Lfandwerker in die Lehre zu gehen, war er zu alt.

Er konnte ja nur dichten und hungern.

Tagelang lief er hungernd und frierend durch die Straßen.
Da siel sein Blick auf einen Zettel, der am Fenster des „Gast-
hauses zur goldenen Traube" angeheftet war und auf welchem
die worte standen: „kjier wird ein Rellnerbursche verlangtl"

Den Posten würde er vielleicht ausfüllen können, so dachte
sich Lgon Richter, und meldete sich in dem „Gasthaus zur gol-
denen Traube."

Da er nun aber, gewitzigt durch seine bisherigen Lrlebnisse,
verschwieg, daß er bisher nur Dichter gewesen, so nahm man
ihn in den Dienst.

Freilich, seine Thätigkeit sagte ihm nicht sonderlich zu; er
mußte Stiefel xutzen, Geschirr waschen, Gläser spülen und den
Aellnern an die kfand gehen. Und die Stiefel waren oftmals
nicht blank genug gexutzt, die Teller und Gläser zerbrachen ihm
unter den bfänden, und von den Sxeisen und Getränken, die
er den Gästen zutrug, ließ er gar oftmals manches überschüt-

ten. Lr sah wohl selbst ein, er mochte sich nicht sonderlich für
seinen Posten eignen, denn er machte gar vielerlei nicht, wie
er's sollte, obwohl er glaubte doch das Beste, was er konnte,
zu leisten. Und so hatte er denn mancherlei von seinen vor-
gesetzten, den Rellnern des Gasthauses, auszustehen, die ihn mit
Dhrfeigen und Ripxenstößen traktierten, ihn, wenn er einmal
da stand und träumte, einen Faulenzer nannten und an den
Ghren zur Arbeit schlexxten.

Lgon Richter aber erduldete alles mit wahrem kfeldenmut;
nur manchmal stand er in der Lcke und ließ sich von seinen
Träumen in glückseligere Gefilde tragen. Und dies war auch
der Fall, wie ein Gast jenes Gasthauses den Kellnerburschen
einmal dabei ertaxxte, wie er eines seiner Gedichte vor sich
hin murmelte.

„Li, sag' einmal, Iunge," sprach er zu dem Kellnerburschen,
„woher hast Du die schönen Derse?"

„Die sind von mirl"

„Die hast Du selbst gemacht? N)ie, kferr Gber" — sich
an den Kellner wendend — „Ihr Bursche dichtet?" — „Das ist
schon möglichl vernünftiges hat der doch nicht im Kopfl"
sagte der Kellner.

Der Gast aber ließ sich von Lgon Richter einige seiner
Gedichte bringen und veröffentlichte dieselben als „Gedichte des
Kellnerburschen im „Gafthaus zur goldenen Traube" in einer
Zeitung, aus der sie als „sensationelle litterarische Novität"
durch die ganze j?resse wanderten. Und die Verleger liefen
dem dichtenden Kellnerburschen das kjaus ein; einem derselben
übergab Lgon für ein hohes Lfonorar seine Gedichte, die nun
bald darauf in einem zierlichen Goldschnittbande erschienen und
den Dichter in kürzester Frist zu einem berühmten Nkann
machten.

Und die Kritiker rühmten nicht nur die ursprüngliche
dichterische Kraft seiner poesien, sondern auch die reichen wisfen-
schaftlichen Kenntnisfe, die Lgon Richter in ihnen offenbarte,
und man bot ihm eine gut bezahlte Stellung als Litteraturlehrer
an einer Akademie an; ja er hätte nur zugreifen brauchen,
um Redakteur bei den hervorragendsten Blättern zu werden.

Lgon Richter aber blieb Kellnerbursche im „Gasthaus zur
goldenen Traube", nicht weil die Mhrfeigen, die er von den
Kellnern erhielt, ihm sonderlich behagten, sondern weil er
wünschte, daß die Lieder, die er noch in seinem Innern trug,
in die Geffentlichkeit gelangten, und das, so fürchtete er, könne
nicht geschehen, wenn er nicht Kellnerbursche bliebe. Aber schon
nach Iahresfrist machte er mit dem Inhaber des „Gasthauses
zur goldenen Traube" einen Kontrakt, nach welchem er zeit-
lebens Kellnerbursche dort bleiben wolle, ohne jeden Lohn —
seine Gedichtbände ernährten ihn vortrefflich —, aber dafür
bedang er sich aus, daß die Kellner ihn fürderhin nicht mehr
ohrfeigen durften. Dies, meinte er, schicke sich doch für die
Dauer nicht für einen berühmten Mann. Kellnerbursche aber
wollte Lgon Richter um jeden jdreis bleiben.
 
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