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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 46.1901 (Nr. 549-561)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16556#0015
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

U

„Da ist es gut, daß ich mich selber umgethan habel wer
wird sich aber auch von einer alten Schachtel beschwatzen lassen:
was verstehen die von Reisen und von den Fahrxlänen l Freilich,
diese ähnlich lautenden Stationsnamen scheinen gestiffentlich
erfunden, um die Reisenden irre zu sühren.

So stieg einmal ein Lngländer aus der kleinen Station
Schafhausen aus, in der Meinung, den berühmten Rheinfall zu
Gesicht zu bekommen. Nie werde ich das lange Gesicht vergessen,
das er machte, als ich ihm erklärte, das Nest sei nur sehenswert
wegen seines Mangels an Sehenswürdigkeiten, und er hätte
Schasfhausen aus dem ff aussuchen sollen, dann hätte er sich
den Reinfall ohne h ersxart."

Nach einer j)ause, während welcher Wilhelm die schöne
Schwester wieder bewundernd betrachtet hatte, nahm er aufs
neue das !Vort: „lVeißt du was, Else, es ist eigentlich doch
jammerschade, daß wir so nahe verwandt sindl"

„Warum denn?" sragte Llse erstaunt.

„weil du so ganz dem Ideal entsxrichst, das in meinem
bserzen wohnt, bisher freilich nur als ein unbestimmtes, nebel-
hastes Bild, — jetzt aber so lebendig und klar, daß ich ganz
trostlos bin . . ." Lr vollendete den Satz nicht, sondern ohne
auf den wahrhaft entsetzten Ausdruck in Llses Gesicht zu achten,
saßte er mit raschem Griff ihr Röpschen mit beiden bsänden
und bedeckte das blühende Antlitz mit einer Flut heißer Aüsse,
die nichts weniger als brüderlich waren.

Gewaltsam riß sich Llse los; sie hatte Atem und Sprache
verloren; in diesem Augenblick erschien der Beamte mit dem Ge-
päckkarren und stumm streckte sie ihm ihren Gepäckschein entgegen.

„Ihre Roffer find nicht dal" sagte der Mann. „Der Schein
lautet ja nach bserbertingen."

„Aber hier ist doch Herbertingen?" ries Llse, die Augen
weit aufreißend.

Indessen war der Stationsvorstand herzugetreten und musterte
kopfschüttelnd das j)aar. „kserr Doktor," sprach er, „soeben ist ein
Telegramm von Ihrer Fräulein Schwester für Sie eingetroffen."

„Von meiner Schwester?" ries wilhelm mit dem dümmsten
Gesicht, das er überhaupt machen konnte. Mechanisch nahm er
das Blatt und las: „Zug versehlt, komme erft mit Schnellzug."

Die Beamten hatten sich inzwischen entfernt. „Else," sagte
Wilhelm, „wie soll ich das deuten? Du bist doch dal N)ie
kommst du dazu, mir zu telegraphieren, du kommest erst mit dem
nächsten Zug?"

„Das Telegramm soll ja von deiner Schwester sein, Dnkell
Aber wie kommst du dazu, als verheirateter Familienvater mir
die reinste Liebeserklärung zu machen?"

„Lsör einmal, Else: sür wen hälst du mich eigentlich?"

„Für wen denn anders, als für meinen Gnkel Dagobert?"

„N)as?I" ries der junge Mann besremdet „du bist doch
meine Schwester Llse Lrnst?"

„Ums ksimmels willen, was soll das heißen?!" entgegnete
Llse erschrocken. „Ich heiße doch -Else ^ohensteinl"

„Line verteuselte Geschichte das l Zu wem willst du denn
eigentlich in Lserbrechtingen?"

Nus der guten allen Zeit.

bsauptmann: „Du Feldwebel, wir sind schon so lang
nicht ausgerückt, jetzt weiß ich nimmer — gehört der Säbel auf
die linke oder rechte Seite?" . ."

„bserbrechtingen? Nun ist das doch bserbrechtingenl" sagte
Llse mit Thränen in den Augen. „Zu meinem Gnkel Dagobert in
Herbertingen will ich ja, und ich glaubte, du — Sie seien es."

Nun klärte sich die eigentümliche Lage rasch auf. Llse
wollte auf einige wochen zu Besuch zu einem Gnkel, den sie
seit ihrer Rindheit nicht mehr gesehen hatte; da ihr Land und
Gegend völlig unbekannt waren, und sie mit der Reiseroute
nicht genügend vertraut war, konnte sie süglich im Zweifel sein,
ob sie ihr Ziel schon erreicht habe, nachdem sie den Ruf des
Schaffners dahin verstanden hatte. Als nun der Doktor erschien
und sie bei ihrem Vornamen rief, mußte sie glauben, die Täusch-
ung liege aus Seiten ihrer Reisebegleiterin: denn wer sollte
der sremde laerr, der sie anries, anders sein, als ihr Gnkel
Dagobert, der sie erwartete? Sie war über sein jugendliches
Aussehen zwar etwas verwundert, aber der Gnkel war ja auch
nicht viel über dreißig Iahre alt, und da die Zeit drängte und
sie sosort aussteigen mußten, blieb keine Zeit zu langen Aus-
einandersetzungen, selbst wenn sich noch ein Zweifel in ihr geregt
hätte. Aber das fiel ihr gar nicht ein, daß lvilhelm ein anderer
als Dnkel Dagobert sein könne, bis die fatale Ausklärung kam.

Fatal? wilhelm empfand eigentlich das Gegenteil, nach-
dem die erste Ueberraschung vorbei war; und da der Gebrauch



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