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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 46.1901 (Nr. 549-561)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16556#0016
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rNeggendorfers Humoristische Blätter.


des traulichen „Du" so rasch ein intimes verhältnis herstellt,
daß man sich schwer wieder in einen tieferen Ton hineinfindet,
verfielen die beiden alsbald wieder in das kaum unterbrochene
vertraute verhältnis, wie sich aus Llses Anrede vernehmen ließ.

„Du," sagte sie, während die beiden in den Bahnhosanlagen
auf und ab wandelten, „ich bin ganz sroh, daß du nicht Mnkel
Dagobert bist: mir wurde ordentlich unheimlich, als du so von
kserzensidealen schwärmtest — als verheirateter Familienvater,
sür den ich dich hieltl"

„Und ich bin überglücklich, daß mein gesundenes kserzens-
ideal nicht meine Schwester istl" erwiderte der Doktor, und er-
laubte sich einen herzhasten Ruß.

„bsaltl mein kserrl Das geht jetzt nicht mehrl" sagte
Llse abwehrend.

„Ei, warum denn nicht? Vorhin ging's doch auch."

„Ia, das war etwas andres, da hielt ich Sie für meinen Mnkel."

„Llsel" sagte der Doktor mit seierlichem Lrnst. „Ich bin
der Meinung, wir fangen mit dem dummen „Sie" erst gar nicht
an; und da es sich einmal so gefügt hat, wie es sich für mich
nicht glücklicher hätte fügen können, bleibst du gleich da als
meine liebe Frau. Meinst du nicht auch?"

Llse blickte verwirrt zu Boden: „Aber das geht doch nicht!"
stammelte sie endlich.

„Ganz prächtig geht's l" jubelte der Doktor und zog sie auf
eine lauschige Ruhebank nieder, wo er sie nach kserzenslust ver-
küßte. Else war diese ärztliche Behandlung nun schon so gewohnt,
daß sie als geduldige jDatientin stille hielt; und weil das Küssen
ansteckend wirkt, wenn das kserz dabei nicht unbeteiligt ist, begann
sie bald schüchtern, dann immer fröhlicher die Rüsse zu erwidern.

jAötzlich aber besann sie sich wieder aus sich selbst: „So
geht es doch nicht fortl" rief sie mit schalkhafter Feierlichkeit.
„Mein bserr, sprechen Sie zuvor mit meinen Llternl"

„Ia, wo sind denn die?" fragte der Doktor.

„In ksinterpommernl"

„G weh l" rief der junge Mann in komischer verzweiflung.
„Und dorthin gerade fehlt es uns an einer Telephonverbindungl"

jAötzlich brauste der Schnellzug herein. lvilhelm sprang auf.
„bsalt!" rief Llse, „diesmal wird nicht eingestiegen: wer weiß
sonst, mit was für einer Llse du wieder Geschichten ansingest."
Der Doktor lachte, und Arm in Arm eilten beide auf den
jderron, auf welchem bereits eine hübsche blondhaarige junge
Dame stand, nach allen Seiten sich umsehend.

„Llse Ernst?" fragte der Doktor diesmal vorsichtiger.

„Ial Und du bist wilhelm?" fragte die Neuangekommene,
einen verwunderten Blick auf ihres Bruders Begleiterin werfend.

„Gewißl" sagte lVilhelm, und küßte seine sehr annehmbare
Schwester herzlich, wenn auch minder glühend, als ihre vor-
gängerin.

„Du bist übrigens beinahe überflüssig geworden," fügte er
lachend hinzu. „Denn dies hier ist meine Braut, Llse Lsohenstein."

Die Genannte begnügte sich hold zu erröten und erwiderte
dann innig die warme Bewillkommnung ihrer Namensschwester.

„Du machst mir schöne Sachen l" schmollte hernach die wirk-
liche Schwester. „Und davon schriebst du kein Sterbenswörtchenl"

Llse Lrnst wurde nun über die wunderbaren Begebenheiten
aufgeklärt; dann verfügte sich das Aleeblatt in des Doktors
lvohnung, wo nach einem fröhlichen Imbis Else kjohenstein
einen langen Brief an ihre Lltern abfaßte. Mit dem nächsten
Zuge aber setzte sie ihre Reise fort zu Gnkel Dagobert, der
bereits durch ein Telegramm von ihrer verspäteten Ankunft
verständigt worden war.

Am andern Morgen in aller Frühe trat der junge Arzt, mit
Llses Brief bewaffnet die Reise nach kjinterpommern an, und
fand bei den Lltern seiner Lrkorenen auf einem herrlichen
Rittergut die freundlichste Aufnahme. Sie hatten denn auch
an dem schmucken Schwiegersohn mit seiner glänzenden jdraxis
nichts auszusetzen. Ls wurde ihm der angenehme Auftrag,
Llse sofort in Herbertingen aufzusuchen und in Gnkel Dagoberts
Gesellschaft heimzubegleiten, damit die ksochzeit, wie es seinen
wünschen entsprach, ohne verzug gefeiert werden könne.

Llse Lrnst hatte inzwischen alle bsände voll zu thun, um
des Bruders Lseim recht gemütlich für das junge j)aar herzu-
richten. Nach wenigen wochen zogen die glückstrahlenden
Leutchen dort ein. Sie waren voll Lobs über die reizende bseim-
stätte, welche liebende Schwesterhände ihnen bereitet hatte. „Du
bist eine vortreffliche Schwesterl" sagte lVilhelm anerkennend.
„Allein das ,Schwesterlein', das ich vor dir gefunden, möchte
ich um alle Schätze der lVelt nicht missen!"

„Auch ich bin froh, daß ich vor dem richtigen Gnkel in
Lserbertingen von dem falschen Vnkel in Herbrechtingen abge-
fangen wurde," meinte die rosige junge Frau.

„Ich habe doch schließlich das bsauptverdienst an eurem
ganzen Glück;" warf die echte Schwester ein, „niemals hättet
ihr euch gefunden, wenn ich nicht den Zug versäumt hätte."

Dagegen ließ sich nichts einwenden und so wurde denn
ein ksoch ausgebracht auf die Schwestjer.

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Keine Zeit.

verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
In Vesterreich-Ungarn für Herausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lvien I
Verlag von I. F. Schreiber in München und Etzlingen.
 
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