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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0014
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BI e g g e n d o r s e r s L) u m o r i sl i s ch e Blälter


gestern taxsec zugestinnnt batte, und er erinnerte sich anch
jetzt eines Gespräches, das sie srüher eininal geführt hatten
und in dessen lderlause sie ihn einen jdedanten nannte, weil
er die Ansicht vertrat, daß jegliches Ding seine Zeit haben
inüßte, auch die ^icbe.

Nun qalt es, sest zu sein. „Also Mutschi," sxrach er, mehr
zu sich als zu seiner Frau, „sei ein lNann!"

„6ast tdu inich noch ein bißchen lieb?" sragte sie ihn.

Und wirklich, nachdein er sie hierüber init der Gründlichkeit
eines gescbultcn kVissenschastlers beruhigt hatte, wirklich und
zu seiner größten Ueberraschung gab sie ihin nur noch einen
Knß und verschwand ohne ein wort zu entgegnen.

Zuin erstennial wieder allein! Aun wollte er sich aber
aucb soqleich an die Arbeit inachen und die ^treitschrist in
Angriss nchinen, die er gegen den Prosessor Stiesler zn richten
qedachte, der ihn rein aus xersönlichen Gründen in einein
galligen jdamxhlet einen nicht
ungeschickten, aber gottlob
sehr wohlhabenden Dilettan-
ten gescholten hatte.

wenn er sich nur hätte
konzentrieren können! Aber
iininer tauchte ein liebliches
Gesichtchen vor ihm aus init
traurigen, vorwurssvollen
Angen, so daß er schließlich,
uin Ruhe zu stnden, sich einen
cholianten holen innßte, in
den er sich vertieste. T>as
ging zur Not, und bald
schwebte er in vergangenen
Iahrhunderten. Lr atinete
aus, denn es hatte sich seiner
eine nervöse Angst und der
fixe Gedanke beniächtigt, er
könne überhauxt nicht inehr
arbeiten.

während er nun iinmer
tieser in seinen 5toff ein-
drang, öffnete sich leise die
Lhüre und chrau Mutschi, in
derKüchenunisorinmit einem
koketten lhäubchen aus dem
Koxs, trat ein, machte einen schelmischen Knicks und setzte sich
neben ihn aus einen Stuhl.

„§aß Dich nicht stören, Ferdi," sagte sie, „ich will ganz brav
und ruhig sein."

Er nickte ihr sreundlich zu und neigte das Denkerhaupt
sosort wieder aus die vergilbten Blätter. ksm, wo war er ge-
blieben? Ach, da! Gut, aho er begann wieder zu lesen.

Frau Nkutschi betrachtete ihn mit einem Interesse, als sei
es der erite kllensch, den ste jemals über einer so komischen
Bestrebung betroffen habe. Aber sie sprach kein wort, keine
r?ilbe. Tlnch der Doktor schwieg, nur rückte er ungeduldig aus
chinem Stuhle hin und her, denn er hatte sich ertappt, daß er
einen ganzen Absatz gelesen batte, ohne im mindesten zu wissen,
was er eigentlich enthalten hatte. Nach einiger Zeit erhob sich
chrau kllutjchi lautlos, drückte einen slüchtigen Kuß aus den
Nackcn ihres Mannes und entschwebte in ihre Küche.

Der Doktor aber wendete still seuszend einige Blätter um
und begann von neuem, sich mit seiner Ausgabe vertraut zu
machen. Seite els war er. chast eine Niertelstunde währte es,
da öffnete sich die Thüre zum zweitenmal und chrau Mutschi
erschien wiederum lächelnd aus der Bildfläche. Diesmal hatte

sie ein rotes bsäubchen auf. Ts schien sast, als wechselte sie
bei jeder Speise, die sie zubereiten hals, die Toilette.

„Tntschuldige, cherdi, nur einen Augenblick."

cherdi hatte sie mit einem raschen Seitenblick gestreift, spielte
aber mit merkwürdiger Lntschlossenheit den Prinzipienonkel und
that, als hörte er nicht.

chrau Nutschi ging um ihn herum, wie die Katze um den
heißen Brei, steckte einen chinger zwischen ihre weißen, kleinen
Zähne und wartete.

Sie wartete eine, zwei, drei Ninuten, dann hustete sie ein
wenig. Als auch dieses sonst so bewährte Nittel nichts hals,
legte sie ihren Arm aus seine Schulter. „Ferdi," flüsterte sie
kaum hörbar, wahrscheinlich damit er nicht so stark gestört werdei
„^erdi, verzeihe einen Noment."

ff'erdi richtete sich aus, als ob er eben vom Tod erwacbe.
Seine Stimme klang ebenso düster, wie seierlich.

„Nas willst Du denn,
Kind?"

„Ich wollte Dich nur
sragen, ob Du zum Roastbees
pommes krites magst?"

„Ia," murmelte er, und
in der nächsten Sekunde
flogen seine Augen nicht
etwa über chrau Mutschis
liebliche Gestalt, sondern
über die schwarzen Buch-
staben, die vor ihm aus und
ab tanzten. Ts kostete ihn
eine ganz entsetzliche An-
strengung, ernst zu bleiben,
aber er sagte sich, daß er
ein Nann sei, daß das Teben
nicht den alleinigen Zweck
habe, sich an die Rockschöße
einer wenn auch noch so
reizenden Frau zu hängen,
und daß die wissenschast
bsoffnungen aus ihn setze,
die er nicht enttäuschen dürse.
Lr that also, als ob er zur
Zeit sür gar nichts einen
Sinn hätte, ausgenommen
sür das dicke, umsangreiche Buch, das vor ihm lag. ivo jchön
und sast heroisch er aber sich in dicher Rolle des starken und
unentwegten Nannes vorkam, hinderte ihn lein ivelbstgesühl
doch nicht, seitwärts zu schielen und sich zu überzeugen, daß
Frau Nutschi noch immer am alten chlecke stand und ihn mit
traurigen Augen beobachtete. „Du hast noch etwas zu sragen,
liebes Kind," sprach er endlich mit väterlicher Nilde.

5ie schüttelte ihr Köpschen, rührte und regte sich nicht und
starrte wie tranmverloren über ihn hinweg in den Garten hin-
aus, in die Ferne, Gott weiß wohin.

Tr blätterte etwas unsicher herum — Du lieber chimmel,
er sand sich immer noch aus Aeite els. Vb er wohl heute nie
mehr darüber hinauskommen würde? chrau Nutjchi war in
einen t^tuhl qesunken und wischte jich heimlich einige große
Thränen aus den Augen.

Als der Doktor das sah, schmolz seine lhärte dahin wie der
chrühlinqsschnee in der ^onne, aber er bemeisterte die rasch
aussteigende ^ehnsucht.

„Nutschi," sagte er in einem Tone, desten Kühle durch die
^ innere Trregung eine seltsame chärbung annahm, „Nutschi,
wenn Du etwas willst, so rede doch . . ."
 
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