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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0016
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Bt e g g e n d o r s e r s u IN o r i st i s ch e Blätter

bei der vierzehnten 5eite angelangt, da drang vonr Garten her
ein seltsames, sich gleichmäßig wiederholendes Knarren an sein
Mhr, und ab und zu hörte er einen seinen, aber durchdringen-
den Schrei, wie ihn ein chalke ausstößt, der in den Lüsten sich
wiegt.

Lr blirkte aus. ^m sclben Angenblirk wollte er sich er-
heben, aber er konnte es nicht. Der 5chrecken hatte ihm die
Glieder gelähmt, und so starrte er mit weit aufgerissencn Auqen
hinaus in den Garten, wo in der alten Schaukel, die seit seinen
Rnabenjahren vielleicht nie mehr berührt worden war, seinc
junge chrau hochausgcrichtet saß, mit beiden ksänden an den
morschen Stricken sich hielt und mit sesten Tritten das gesähr-
liche chahrzeug hoch und immer höher trieb. Und jedesmal stieß
sie einen kleinen Bchrei ans, wenn sie weit hinans slog, daß
die Locken im AAnde slatterten und die Schürze sich wie ein
weißes Begel blähtc.

Ieder Augenblick konntc ein schreckliches Unglück bringcn,

und dieses Beüvußtsein war es, das dem Doktor xlötzlich un-
geahnte Rräste verlieh. Gr sprang über den niederen Balkon
mitten in das Fj'sacinthenbeet, das sich unter diesem hinbreitete,
mit einigen Sätzen hatte er die Schaukel erreicht, die er mit
starkem Griss zum 5tehen brachte.

Reden konnte er nicht, denn die ungewöhnliche Erregnng
hatte ihm den Atein geraubt; aber er besahl durch eine un-
zweidentige Bewegung des Arms der verwundert lächelnden
Frau, sie solle sosort heruutersteigen.

Nit einem graziösen 5prung stand sie vor ihm.

5ie konnte noch immer nicht verstehen, was er eigentlich
wolle, und so blickte sie ihn sragend an, während er unter sort-
währendem Reuchen hestig gestikulierte und einige worte müh-
sam herausstieß, die ein sehr guter Renner der deutschen
5xrache vielleicht als kleine, liebevolle Beleidigungen
wie: surchtbar leichtsinniges Mesen, unvcrnünstige j?cr-
son oder so etwas hätte enträtseln können.

Lrst als die beiden sich im Zimmer gegenüber
standen, waren sie in der Lage, sich wieder zu ver-
stehen. wenn man bedenkt, wie schlinnn die
Geschichte hätte anssallen können, welche Angst
der gute Doktor in den paar Akinuten durch-
zumachen hatte, so wird man unschwer begreisen,
daß seine chreude über den glücklichen Aus-
gang sich geradezu stürmisch äußerte, und
wenn cr seine Frau vorher inr Drange ..
der Gesühle „unsinnig" gescholten hatte, A
so bewies cr nnn durch sein Berhalten, ""
daß er seinerseits ebenfalls Momente
hatte, in denen er nur unter sehr mil-
dernden Umständen als vernünftig betrachtet
werden konnte.

Nach einer reichlichen jdause erst besiel ihn
der düstere Gedanke an seine Arbeit, wie eine
Lrinnerung aus einer anderen welt. Frau
INutschi war eine kluge Frau, eine ausgezeich-
nete Gedankenleserin, wie so vicle ihres Ge-
schlechts. Indem sie den Arin uin ihn schlang,
zog sie ihn zu sich, daß er ihr nicht entschlüpsen
konnte. „cherdi," sagte sie, „jetzt gehörst Du mir.

Mir ganz allein. Und nun hör einmal, was ich
Dir vorschlage. Du arbeitest an einer Streitschrist?"

„Ia/^ antwortete er, ein wenig kleinlaut, „ich that so,
als ob ich es versuchte."

„Und diese Lchrist hat rein nur den Zweck, den alten
jAosessor Stiesler gehörig zu ärgern; ja, ja, ich weiß es ganz
bestimmt ... sei nur still. Und deswegen schickst Du Deine
arme Mutschi fort von Dir, die Dich doch so gern hat, Du Böser,
und quälst Dich da allein herum, als ob das nicht Aeit hätte
bis zum NAnter, wo Du mich längst schon satt hast. Ist das
schön von Dir?" — j)st!" sagte sie, als er etwas reden wollte und
schloß ihm den Mund. „Ietzt halä ich das lVort. lVenn es
ctwas kvichtiges wärc, gut, was sein muß, muß sein. Aber
so . . . nein! Du kriegst mich schon los, aber nur nicht so
pedantisch, wie soll ich sagen, so aus die Minute ausgerechnet,
so schnell, so plötzlich, weißt Du, Ferdi. Und nun paß aus!
lVenn der Ltiesler durchaus geärgert werden soll, was Du jetzt
gar nicht sertig brächtest, so nimm' ich ihn aus mich. Du
kausst mir das teure, graublaue Rleid, das wir gestern gesehen
haben, das mir entzückend stehen wird, und dann gehen wir
nächste lVoche in den ksosgarten, dort sitzt die Frau jdrosessor
Ltiefler nrit ihren drei Töchtern, wovon Du eine hättest heiraten
sollen, an diesen gehen wir vorüber und grüßen sie recht sreund-
lich. Verstehst Du?"

„Ia," antwortete der Doktor, „und dann?"

„Dann? Dann setzen wir uns so, daß sie uns beobachten
können, und dann bist Du recht lieb und plauderst recht nett
mit mir . . ."

„Meiter, weiter, was dann?"

„Nichts weiter, Ferdi, das genügt bis zum lVinter. Bis
dahin wird der arme Btiefler keine ruhige Ltunde mehr ge-
nießen. Das schwör' ich Dir. Ist das nicht tausendmal lustiger?
Lchau, Ferdi, wer weiß, wie lange wir uns haben, ob ze-
mals so eine schöne Zeit wiederkehren wird. Und dann hab'
ich Dich doch wenigstens noch ein bißchen und kann
mich allmählich daran gewöhnen, Dich herzugeben.
Ach . . . was weiß so ein Mann oon Liebe!"

Der Doktor schüttelte lachend den Rops. „Doch
immer noch ein wenig mehr, als so ein lVeib von
NAssenschast?"

„Ich will ja gar nichts davon wissen," jubelte sie.
„Dich will ich, dich ganz und ungeteilt und so lang
und so vie! wie möglich — ewig, hörst Du,
Liebster?"

„Also sagen wir, heute in vier U?o-
chen . . . ."

„Unverbesserlicher! Gar nichts be-
stimmßn wir. Und dabei kann es bleiben.
5o, nun komm einmal mit, dann zcig' ich
Dir das Nest, das sich die Finken gebaut
haben, und die Rosen springen morgen
aus, ganz gewiß . . . komm nur!"

An diesem Tage las er nicht mehr
weiter.

Uegative Uescheidenheit.

Rommcrzienrat: „Also Sie haben sich nichts gespart?"
F'reier: „Nein; ich dachte,5ie könnten sich sonst beleidigtsühlen A

Doppeltes Bech.

Uausherr: „Armes Ukädchen, also Ihr Bräutigam ist phnen
untreu geworden?"

Dienstmädchen (schluchzend): „Ach ja, und gerade der treueste!"

Verantwortlicher Redakteur: Ukar Lchreiber. Druck von Z. Schreiber, beide in Tßlingen bei dckuttgart.
In Bcsterreich-Ungarn sür kserausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Utohr in UAen I.
Vrrlag rmn I. F. Schrcibrr in Mnnchrn und EHIingrn.
 
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