Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0051
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bt e g g e n d o rf er s L) umoristische Biätter.



Der Brigadier sah gar nicht aus.

Lin Vorgesetzter war es nicht, der
ihn da anries, die 5timme kannte
er, und ein Untergebener hat ihn
überhaupt nicht anzurusen, der hatte
sälligst zu warten, bis er selbst angerusen wurde.

„cherr Geeeeeeeeeee—neeeeeee—raaaaaaaal!"
erklang es noch einmal.

Aber der hörte auch diesesmal nicht.

„Der Lserr General werden angerusen," erlaubte sich
der Adjutant ganz gehorsamst zu bemerken.

„Ich?" Anscheinend aus das Aeußerste nerwundert
blickte der Borgesetzte aus. „Ich?" wiederholte er, „das
müßte ich doch gehört haben — wer rust mich denn?"

Der Adjutant hatte sich schon vorher umgesehen und
so sagte er: „Dort aus dem Mege hält der Gberstleutnant
von wendtborn, die Saatkrähe, ich meine selbstverständlich
die Flurbeschädigungskommission, ich glaube, der hat
gerusen."

„5o?—Glauben 5ie?" sragte der General
so gleichgültig wie nur möglich, obgleich sein
schlechtes Gewissen etwas höher schlug. „Ihr
Glaube ist in diesem Falle nicht mein Glaube,
und ich glaube, 5ie irren sich."

Und, sich im 5attel umdrehend, gab er
den Besehl, das Marschtempo zu beschleunigen
— wenn er den Acker erst hinter sich hatte,
konnte der Gberftleutnant ihn ruhig daraus
aufmerksam machen, daß es verboten sei, das Feld
zu betreten, dann war es zu spät.

„cherr General!" ertönte es noch einmal. Ls
klang wie der Bchrei eines Nenschen, der sich unter
allen Umständen bemerkbar machen will. Ukan hörte
ordentlich, wie dem Ruser bei der gewaltigen Ansxannung
der Lungen, die Brust weh that.

„N?as hat der Gberstleutnant denn nur?" sragte der
General. „lVenn er etwas will, kann er doch zu mir
kommen — er kann doch unmöglich von mir verlangen,
daß ich zu ihm hinreite."

„Und ich reite erst recht nicht freiwillig zu rhm,"
dachte der Adjutant, „und daß der 6err General mich hin-
schickt und fragen läßt, was die Saatkrähe von uns will,
glaube ich bei näherer prüfung der Sachlage bezweifeln
zu dürfen."

Und der Adjutant behielt recht, sein kferr schickte ihn
nicht fort.

Unterdes hielt der Gberstleutnant von lvendtborn
auf der Lhaussee und schrie sich beinahe die Seele aus dem
Leib. Vor einer guten Stunde hatte der Besitzer des Ackers
ihn noch gebeten, in aller Strenge darauf zu halten, daß
keines Soldaten Fuß das frisch besäte Feld beträte —
und nun marschierte der General mit einer ganzen
Brigade auf dem verbotenen Gelände herum. Das
war eine Sache, die unter Umständen tausend
Mark und mehr kosten konnte. Und wer sollte
die bezahlen? Der Staat? Der würde den cherrn
General für den Schaden verantwortlich machen, und
der Lserr General würde sich an den Gberstleutnant
wenden und ihm sagen: „U)enn mich kein Mensch
darauf aufmerksam macht, daß ich das cheld
nicht betreten darf, dann kann sich auch
niemand wundern, wenn ich es thue.

So würde der kserr General sxrechen,
und im Geiste sah sich der kskrr Gberst-



leutnant um einen braunen Laxxen
erleichtert.

Und um das Geld zu retten, rief er mit
dem cheldenmut der Verzweiflung weiter.
Am liebsten wäre er hingeritten und hätte den
cherrn General auf sein Vergehen ausmerksam ge-
macht, aber es ging doch nicht. Auf der jenseitigen
Seite der Lhaussee war nämlich ein sehr breiter
Graben. Allein wären sowohl der cherr Gberstleutnant wie
sein Gaul hinüber gekommen, aber zusammen ganz bestimmt
nicht. Die beiden hätten Abschied voneinander genommen,
und da man bei einer Trennung nie weiß, wann und wo
man sich wiedersieht, hielt der Gberstleutnant es für zweck-
mäßiger, sich gar nicht erst mit Abschiedsgedanken zu tragen,
zumal die im Uianöver immer etwas verfängliches haben.
IVenn nur wenigstens sein Gberleutnant bei ihm gewesen
wäre — aber den hatte er mit einem besonderen Auftrag
fortgeschickt, und es war ganz unbestimmt, wann der
zurückkam.

Der cherr General marschierte weiter und
weiter und hatte die kjälfte des Ackers schon
hinter sich. Der Gberstleutnant rief immer noch.
Er war schon so heiser, daß er sclbst kaum noch
seine Stimme hörte, aber trotzdem hielt er es für
seine Pflicht, immer weiter zu rufen. Die Töne,
die er von sich gab, waren so kläglich, daß selbst
sein alter Nappe den chals wandte und seinen
kserrn mit traurigen Augen mißbilligend ansah.
Roch einmal machte der Gberstleutnant den
versuch, sein j?ferd zu bewegen, wenn auch nicht
über den Graben zu sxringen, so doch wenigstens durch
denselben hindurch zu klettern. Aber der Gaul wollte
nicht, er schüttelte den Aopf, und da wußte sein cherr,
daß aller Liebe Mühe umsonst wäre. So ließ der kserr
Gberstleutnant den kserrn General ziehen, wohin er wollte
und tröstete sich mit dem Gedanken: bei der Aritik sehen
wir uns wieder.

Und da sahen sie sich wirklich, und der Gberstleutnant
war Ghrenzcuge, wie der cherr General wegen seines
unerwartet schnellen Tingreifens in das Gefecht und wegen
dcr geschickten Ausnutzung des Gcländes uneingeschränktes
Lob erntete.

„Sehr gut, ganz ausgezeichnet," lobte Seine Aönig-
liche choheit, und die anderen hohen Vorgesetzten stimmten
aus vollster Ueberzeugung dem Urteil des Armeeinspek-
teurs bei.

Der Lserr General richtete sich im Sattel immer höher
und höher auf, er wurde immer größer und größer, und
er vergaß ganz, daß er auf verbotenen tvcgen gewandelt
sei. Aber mit einem hörbaren Ruck sank er in sich zu-
sammen, als plötzlich mitten zwischen den hohen Gsstzieren
die kräftige Gestalt eines Landmanns auftauchte, die droh-
end in der Rechten einen dicken Stock schwang.

„Das ist er, Excellenz, das ist er," begann er seine Rede,
auf den General zeigend, „der hat mir meine ganze
Aussaat vernichtet, das habe ich nicht nötig, mir
gefallen zu lassen, bezahlen muß er, daß ihm die
Augen übergehen, und bezahlt er nicht freiwillig,
dann verklage ich ihn durch alle Instanzen!"
Lndlich gelang es, den Aufgeregten zu be-
sänftigen und zu beruhigen; dann aber
wandte sich Seine Rönigliche ksoheit
an den kserrn General: „kvas ich da
höre, ist mir sehr, sehr unangenehm.
 
Annotationen