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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0108
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Meggendorfers Hurnoriftische Blälter.


Gestern wurde im Dusterheimer Walde das erste Fräulein Räuber-
hauptmann gefangen genommen.

(Line vereilelte Raöpartie.

Homoreske von A. Herrmannsdorfer.

I^^er von den ständigen Gästen heute in den „grauen Bären" kam, blickte
überrascht auf den „Stammtisch", der gegen sonst zwei Mitglieder mehr
zählte. Zwar hatte der „gemischte lVarenhändler" Nagerl anfangs
lebhaft gegen ihre Aufnahme proteftiert; schließlich aber hatte die Nehrheit gesiegt
und dem cherrn Provisor Stößl war das ehrenvolle Amt übertragen worden, die

beiden Fremden in aller Form einzuladen, am
„Gtammtische" platz zu nehmen.

Das wäre nun an sich nichts Besonderes
gewesen und die „grauen Bären-Gäste" hätten
sicherlich nicht so erstaunt nach dem „5tamm-
tische" geschielt, wären diese zwei neuen !Nit-
glieder eben nicht zwei junge, hübsche Damen
im Radfahrkostüm gewesen.

So aber tuschelte man ringsherum und
erging sich in den personlichkeiten der beiden
in den abenteuerlichsten Vermutungen. Nan
munkelte etwas von plötzlich aufgetauchten
Nichten Lserrn Nagerls, und der allzeit sen-
sationslüsterne approbierte Bader wußte sogar
von zwei außerehelichen Töchtern des Lserrn
Mberförsters zu erzählen.

Als aber die alte Aathl den Neugierigen
sagte, daß das „zwei wildfremde Frauen-
zimmer" wären, die sich auf der Lseimfahrt
von einem Ausfluge verirrt hätten, da drehte
man in unglaublicher Entrüstung dem „Stamm-
tische" den Rücken und versuchte von anderem
zu reden. Nur so oft eine neue Lachsalve
herübertönte, zuckten die ehrsamen Bürger
von D. zusammen und warfen unwillige Blicke
nach der fröhlichen Tafelrunde.

Die am „5tammtische" merkten von all
dem nichts. Bie saßen so fröhlich beisammen
und waren so guter Dinge, daß es ihnen
gar nicht in den Sinn kam, es könnte sich
heute überhaupt jemand ärgern. Der kserr
Mberförster hatte seine berühmten Dackl-
geschichten erzählt, der lherr Adjunkt gab
neue lustige Schaltererlebnisse zum besten und
der lserr Provisor, ein passionierter Radfahrer,
rief eben mit der humorvollen Tchilderung
seiner ersten Radpartie wahre 5türme von ksei-
terkeit beiseinemdankbarenAuditorium hervor.

Was Wunder, daß die ehrsamen Bürger
von D. wieder höchst indigniert auf den
„Stammtisch" und den Urheber dieses Lsöllen-
gelächters blickten. 5ie waren dem etwas
leichtlebigen provisor ohnehin nicht besonders
hold und „unterhielten" sich öfters über ihn.
Wenn aber jetzt der gute 5tößl nur einen
Augenblick Zeit gehabt hätte, seitwärts zu
horchen, so wären ihm schon ganz besondere
Liebenswürdigkeiten über seine und seiner blon-
den Nachbarin person zu Dhren gekommen.

„Schauen S' nur hin, lserr Lehrer," wis-
perte der approbierte Bader, „wie er den Zier-
asfen wieder anglotzt, grad' wie wenn er ihn
mit den Augen fressen wollte. wissen S', das
ist ein Skandal, das muß man dem lferrn
pfarrer sagen, daß er die Leut' von der
Ranzel herunter vor dem Menschen warnt.
was denken S', was da 'rauskommt, wenn der
verliebte Zipfel in seiner Zerstreutheit die
Medikamente schließlich alle verkehrt erwischt.
)ch rnuß das wissen, das dürfen S' glauben,
kserr Lshrer!"

Der lserr Lehrer war der gleichen Ansicht
und schlug zur Bekräftigung seine Birkendose
hörbar auf den Tisch.
 
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