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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0145
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Meggenöorfers L)umoristische Blätter

ich schwammen, wie die Romanschriftfteller sagen, im Glück. Doch sollte
der Tag nicht ganz ungetrübt rerlaufen. Ietzt kam nämlich das Lsochzeits-
geschenk der Taute.

Tante Lulalia schriftstellerte auf Tod und Leben, und darauf war sie
nicht wenig stolz. Freilich schrieb sie nur saft- und kraftlose Romane,
deren chelden ihren süßlichen Idealen entsprachen, aber gottlob nicht dem
wirklichen Leben. Allein einer Trbtante gegenüber mußte man doch jegliche
Rücksicht nehmen, und wie hätten wir der „berühmten" Schriftstellerin
Tulalia Anemone, wie sie sich anmutig nannte, mehr imponieren können, als
durch eingehende Kenntnis der Schicksale ihrer bsclden und Lseldinnen?
Somit machten wir uns heldenmütig mit ihren sämtlichen Werken bekannt.

Daß sie berühmt war, stand ihr außer Zweifel, war sie doch von einer
Zeitschrift sogar zu einer Selbstbiograxhie angeregt worden. In dieser
schilderte sie denn auch mit einer Selbstgefälligkeit, die der ihrer meisten
Aolleginnen die !Vage hielt, den „Auß der Muse," den sie seit ihrer frühesten
Iugend auf ihrer Stirne gefühlt hatte, und der ihrem ganzen Wesen eine
ideale Tigenart aufgeprägt habe und dergleichen Blödsinn mehr.

Das alles füge ich bei, um Ihnen zu erklären, wie Tante Tulalia
zu ihrem kfochzeitgeschenk und zu ihrer Rede kam. Ts ist nämlich immer
noch Lsoffnung vorhanden, wenn Sie eine Trbtante haben, die etwa nicht
schriftstellern sollte, daß dieselbe ein weniger verhängnisvolles Geschenk für
5ie auswählen könnte.

wir wollten uns eben zum kfochzeitsmahle niederlassen, als Tante
Tulalia an ihr Glas klingelte. Denken 5ie sich den Schrecken! Die Gäste
sind hungrig und nun aller 5itte entgegen, wird vor dem ersten Löffel
Suppe bereits die erste Rede gehalten. Na, so was, ich danke! Nit bangen
Gesichtern blieb alles stehen und nun begann die berühmte Schriftstellerin
eine ihrem Genie entsprechende Ansprache.

Zunächst schilderte fie die Lserrlichkeit der echten bräutlichen und ehelichen
Liebe. So wenig persönliche Lrfahrung sie hierin besaß, muß man ihr es
doch lassen, daß sie eine ungewöhnliche Gewandtheit besaß, diese Liebe
in den verlockendsten Farben auszumalen. Dies war übrigens nicht zu
verwundern, da in all ihren Trzählungen eben dieses Thema mit einer
unermüdlichen Regelmäßigkeit und ebenso vollständigen Unkenutnis des
wirklichen Lebens wiederkehrte.

Die gesxannten und glühenden Gesichter der Brautfräulein spiegelten
den großen Lindruck wider, den diese Tinleitung auf leicht entzüudliche
Nädchenherzen machen mußte, die wahrhaftig die 5uppe darüber vergaßen.

Nicht so ich: während Tantes begeistertem Getratsche bemerkte ich mit
Befremden, daß gerade an meinem und meiuer jungen Frau ihrem jdlatze
keine Teller standen. lVar das Versehen oder Absicht? Ich war nicht ge-
sonnen, von Luft und Liebe zu leben, und meine 5ophie, soweit ich sie
kannte, ebensowenig.

Nun aber wurde ich aufmerksam, weil Tantchen eben von Tellern zu
reden anfing. Sie erzählte, wie sie einmal irgendwo gelesen habe, ein
junges Thepaar habe sich gegenseitig am Lsochzeitstage das Nersprechen
gegeben, so lange aus einem Teller zu essen, bis der erste Ztreit bei den
Rontrahenten stattgefunden habe. Diese Lhe sei ohne den geringsten Zwist
verlaufen und noch auf dem Totenbette hätten die Gatten gemeinsam aus
ein und demselben Teller gegessen.

Nir kam die Geschichte sehr sonderbar und schwer zu glauben vor.
Aber nun folgte Tantes Nutzanwendung: eine solche friedliche Lhe müsse
auch die unsrige werden; da es sich aber in den höheren Rreisen, denen
wir angehörten, — jenes Paar sei ein einfaches j?farrerspaar gewesen, —
nicht schicke, daß zwei jdersonen aus einem Teller äßen, schenke sie uns zur
bsochzeit zwei Friedensteller, als beständige Mahnung, den ehelichen Frieden
zu halten, ohne welchen der Thestand zur bsölle auf Trden werde. wir
müßten ihr sogleich feierlich versprechen, die Teller nur so lange zu benützen,
bis wir uns zum erstenmal gestritten hätten. Sie hoffe aber und habe das
Zutrauen zu unserer Liebe, daß uns diese Teller eine beständige wirksame
Nahnung sein würden, die jeden drohenden Streit im Reime erstickte, und
sie selbst wolle als Fnedensengel diese Lintracht steißig kontrollieren und hüten.

Der „Friedensengel" war gut! Ich mußte bei dieser Stelle Tantc

(Fortsetzung auf Seite f^2.)
 
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