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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0152
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INeggendorfers Hurnoristische Blätter

Zie lange Uase.

s^8

arl Mülter hatte eine sehr lange Nase, eine aussallend
lange Nase, die so groß war, daß, wo sich nur iinmer
Aarl Müller sehen lietz, die Leute einander anstietzen,
ihm verblüsft nachschauten und lachten und spöttisch ausrieseni
„Das ist aber eine Nase!" oder etwas Aehnliches.

Aarl Müller war natürlich über diese Ausinerksamkeit, die
seine Nase erregte, nicht sehr ersreut. Lr wurde schließlich ganz
menschenscheu, schloß sich in sein Iimmer ein und dachte und sann
über sein 5chicksal nach und über Gott und die Melt und noch
viele andere Dinge mehr.

Und da Rarl Utüller den ganzen Tag über bis in die tiese
Nacht hinein weiter nichts that, als denken und übcr Gott und
die kvelt nachsinnen, so wurde er ein großer Denker, der gar
schöne Gedanken in seinem ksirne wälzte.

Und Aarl Utüller setzte sich nieder und schrieb alle diese
schönen Gedanken aus, so daß viele Lseste mit denselben ange-
süllt waren.

Dann aber schickte er die Ueste an einen Verleger und bot
ihm dieselben zum Druck an. Der Verleger aber schickte sie ihm
sosort zurück^ da er „sür die nächsten Iahre leider schon mit
Verlagsartikeln überhäust sei."

Und Karl Müller schickte die Ueste mit seinen Gedanken an
einen zweiten Verleger. Der sandte ihm die lheste auch sosort
wieder und schrieb dazu, daß die meisten Leute nicht gerne Ge-
danken läsen und daß er, der verleger, daher nur Bücher ohne
Gedanken verlege.

Und Aarl Müller schickte die chefte mit seinen Gedanken
an einen dritten Verleger. Und der sandte ihm die chefte nicht
zurück, sondern schrieb ihm, daß er, der Verleger, die cheste mit
den Gedanken von Aarl Uküller sehr gern verlegen wolle, wenn
er, Aarl Ulüller, ihm zuvor die Druckkosten zahle.

Da nun aber Uarl Utüller gerade tags zuvor den letzten
Uundertmarkschein hatte wechseln müssen, den er von seinem
väterlichen Lrbe behalten hatte, so konnte er die Druckkosten nicht
bezahlen, und so bekam er auch vom dritten verleger die Ueste
mit seinen Gedanken zurück, da dieser umsonst dies Manuskript
nicht drucken lassen wollte.

Aarl Ntüller war nun beinahe verzweiselt; er hattc qehofft,
vom Ertrage seiner Gedanken leben zu können und konnte sie
nicht einmal ohne Lfonorar vcröffentlichen.

Und in seiner verzweislung riß er ein kfest auseinander und
balanrierte die einzelnen Blätter aus seiner qroßen Nase. Das
that er viele Tage lang. Dann merkte er, daß er von dcn hundert
Nark nur noch einen Thaler in seiner Tasche hatte.

Da beschloß er denn bei sich, in die Uneipe zu gehen, sür
den letzten Thaler noch ein gutes Abendessen zu qenießen und
dann ins wasser zu sxringen.

Als er nun diesen Beschluß auszusühren begann, und in
der Rneipe saß, wo er mit Behagen ein Lendenbeessteak mit Ti
verzehrte, da sahen ihn natürlich wieder alle Leute, die in der
Rneipe saßen, wegen seiner großen Nase an und schüttelten die
Aöpfe und kicherten.

Und darüber ärgerte sich Rarl Müller, und da er nun ohne-
dies schon in einer Nenschen und kvelt verachtenden 5timmunq
war, so ergriff er ein Zeitungsblatt, das aus dem Tische lag, an
dem er platz genommen hatte, und ließ dasselbe aus seiner Nase
balancieren und bleckte dazu allen, die ihn anstarrten, die Zunge
aus.

Da aber kicherten die Leute noch viel mehr und schüttelten
die Röpse und staunten.

Tiner aber von denen, die in der Rneipe satzen, stand auf
und kam aus den Tifch zu, an dem Rarl Nüller saß und sagte:
„Nein 6e^r, gestatten L-ie, daß ich mich Ihncn vorstelle; ich bin

Tirkusdirektor Barnum. Nollen Sie in meinem Tirkus eine An-
stellung? Ich biete Ihnen monatlich siebenhundert Nark.
Dasür haben Sie weiter nichts zu thun, als jeden Abend eine
viertelstunde lang nur das, was Sie eben gethan haben!"

„Topp!" sagte Karl Nüller und schlug in die Band, welche
der Tirkusdirektor Barnum ihm darreichte.

So kam es, daß Rarl Müller nicht ins wasser sprang,
sondern vergnügt nach Nause ging, die einzelnen Blätter des
auseinandergcrissenen Nestes seiner Gedanken sein säuberlich zu-
sammenlegte, seine Sachen xackte und sich dem Lirkusdirektor
Barnum zur verfügung stellte.

Tags daraus trat er im Tirkus Barnum als Nasenkomiker
Rarlo Nellini aus und erregte so stürmischen Beisall, daß ihm
sein Direktor sosort aus sreien Stücken zweihundert Nark zur
Nonatsgage zulegte.

Und als Rarlo Nellini die erste Nonatsgage erhielt, packte
Rarl Nüller die Neste mit seinen Gedanken von neuein ein
und schickte sie an den dritten verleger und dazu die Druckkosten,
die dieser verlangt hatte.

Und bald waren die Gedanken von Rarl Nüller gedruckt
und erschienen in einem schönen Buche. Aber obwohl große und
tiese Gedanken in diesem werke aufgespeichert waren, kauste
doch 'niemand das Buch, und die Zeitungen schrieben nichts
darüber, und nach ein paar Iahren sandte der verleger die ganze
Austage an Rarl Nüller, der ja die Druckkosten bezahlt hatte»

Rarl Nüller aber war als Nasenkomiker Rarlo Mellini eine
vielberühmte jdersönlichkeit geworden, der von Stadt zu Stadt
zog und überall Bewunderung erregte und viel Geld verdiente.

Da gab er einmal in seiner wohnung einigen seiner Freunde
und Bewunderer ein chest. Und als man sröhlich beiin Sekt saß,
da sagte einer der chestteilnehmer, indem er mit dem Fuß an
einen großen Ballen anstieß, der in dem seinmöblierten Logis
des Nasenkomikers sich seltsam ausnahm: „Sagen Sie nur ein-
mal, Nellini, was haben Sie hier sür einen eigenartigen
Zimmerschmuck?"

Da ösfnete Rarl Nüller den Ballen, in welchem seine unver-
kausten Bücher lagen, und erzählte das Schicksal derselben.

„Die Bücher kause ich!" rief jener chestteilnehmer, der nach
dem s)nhalt des Ballens gesragt hatte. Ts war ein bekannter
Nerleger. Tr legte die Summe, die Rarl Nüller einst als Druck-
kosten dasür bezahlt hatte, sosort auf den Tisch nieder.

Tinige Tage daraus erschien in samtlichen Zeitungen eine
Notiz solgenden Inhalts: „Non dem berühmten Nasenkomiker
Rarlo Nellini erschien soeben ein Buch unter dem Titel „Gedank-
en von Rarl Nüller", das berechtigt ist, das größte Aussehen zu
erregen. Niemand ahnte wohl bisher, daß der drollige Nafen-
komiker, der mit seiner grotesken Runst alle U?elt bezaubert, ein
philosophischer Rops ist, dessen Gedankenreichtum und -Tiese
die größte Bewunderung verdient. U?ir kommen aus das inter-
essante U?erk noch in einer aussührlichen Besprechung zurück."

Tinen Nonat daraus mußte eine neue^lustage der „Gedanken
von Rarl Nüller" erscheinen, und als nach Iahressrist die zehnte
Austaqe erschien, bestürmten ihn der erfte und der zweite und
der dritte Nerleger mit Anträgen, daß er ihnen „neue Gedanken"
zum Nerlaqe überqäbe. Der erste Nerleger wollte fie drucken
lassen, obwohl er noch aus Iahre hinaus mit Nerlagsartikeln
versehen sei, der zweite Nerleger, trotzdem die Leute Gedanken
nicht lesen, und der dritte beries sich daraus, daß er es gewefen,
der ja von vornherein die Größe Rarl Nüüers erkannt und
geschätzt habe.

Rarl Nüller aber schrieb keine „Neue Gedanken" mehr;
seitdem er Nasenkomiker war und jeden Tag zwei chlaschen trekt
trank, hattc er das Denken verlernt. Eugcn Jsolnni.
 
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