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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0026
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Meggendorfer-Blätter, München

Der Ttnch öer böscn Tbat.

Humoreske von W. Mader.

ein, j)apal Das geht und geht nun einmal nicht so
weiter," rief des Lserrn Medizinalrats liebreizendes
Töchterlein, indem funkelnde Blitze scinen milden Blau-
augen entsprühten und mühsain erpreßte Furchen die Glätte
seincr weißen Stirn unterbrachcn.

„Mas geht nicht?" fragte der joviale alte lherr und betrachtete
wohlgefällig das erregte Gesichtchcn seines Lieblings, das gerade
so einen ganz besondecen Reiz bot: sahen doch die goldenen
Locken wie eitel Sonnenschein aus, der über dcn düstern Molken
der Stirn lachte.

„Das gcht nicht," erwiderte das jnnge Fräulein, ..daß immer
und immer wieder unsere Glocke gezogen wird, und wenn ich
eile und nachsehe, so ist niemand da. Wie soll ich da ein an-
ständiges Nachtessen zustande bringen? Alle fünf Minuten muß
ich ja nach der ljausthüre laufen."

„Das ist der Fluch der bösen Thatl" murmelte der Medi-
zinalrat; laut aber sagte eri „Du hast recht, Luischen, das geht
einfach nicht; ich werde Dir Ruhe verschaffen vor diesen über-
mütigen Störefrieden, gleich morgen werde ich den polizeidiener
bitten, sich abends in der Nähe aufzuhalten; wenn einmal etliche
der Schlingel gehörig abgestraft sind, wird es sobald keiner mchr
wagen, Dich zum Narren zu halten mit dem infamen Geläute."

Der Medizinalrat bewohnte eine idyllische Nilla auf dem
Lande; das Naus war auf drei Seiten von üppigen Parkanlagen
umgeben; die kjausthüre aber ging auf die lfauptstraße, welche
das Dorf mit der nahen Großstadt verband. Der weithinleuch-
tende Messinggriff Ler lfausglocke verlockte nur zu öft die losen
Dorfburschen oder auch heitcrgestimmte Ansstügler, sich den kleinen
Scherz des Anläutens im Vorbeieilen zu erlauben, namentlich
da dies das einzige kjaus des Dorfes war, das eine Glocke be-
saß. Freilich, wenn die Uebelthätcr geahnt hätten, welchen
lieblichen Tngel sie damit bemühton und in Aufregung versetzten!
Der Medizinalrat war nämlich ein Mann aus der alten Lchulo,
und nachdem er in langjähriger glänzender praxis sich Reich-
tümer erworben, hatte or sich dieses Landhaus erbaut und übte
seine ärztliche Aunst nur noch gelegentlich aus Menschenfreund-
lichkeit aus. 5ein einziges, nunmchr achtzehnjähriges Töchterlein,
Luise, dürfte aber nicht die reiche Lrbin spielen, sondorn hatte
die^gaüze bjaushaltung zu besorgen, da auch ihre Mutter sich
ziemfich zur Ruhe gesetzt hatte. Nur tags über übernahm ein
kleines Dorfmädchen einen Teil der gröberen Arbeiten; mithelfen
mußte Luise aber bei allem; denn ihr Papa wollte nun einmal
eine ebenso tüchtige und bescheidene ksausfrau aus ihr machen,
wie ihre Mutter es immer gewesen war: wie gesagt, er war
noch aus der alten Schule. Ans eben dcm Grunde war es auch
Luischen, das unter dem frechen Geläute am meisten zu leiden
hatte; jedesmal mußte sie zur kjausthüre cilen, um wieder zu
konstatieren, daß niemand da sei; denn der Unfug fand natürlich
nur bei Dunkelheit statt, wenn das Laufmädchen längst nicht
mehr im kfause war.

Allein die biederepolizei des Brtes stand bereits amfolgendcn
Abend Wache, und nicht umsonst: da kam wieder einer, und zwar
ein feiner Stadtherr. Als er die Glocke erblickte, zögerte er; dann
rasch ein Zug — und beroits hatte ihn der uniformierte Grau-
bart am Uragen: „Ihren Namen und Ihre Adrcsse, mein kjerrl"
Aleinlaut gab der ertappte Sündcr beides an. „kjoffentlich kann
ich die Sache mit Geld erledigen?" fragte er. Der jdolizeidiener
erwiderte barsch: „Zunächst werden Sie freilich mit einer Geld-
strafe wegen groben Unfugs belcgt werden; stellt aber der Ljerr
Uiedizinalrat Strafantrag, so wird dic Sache noch ein gericht-

liches Nachspiel haben; wer weiß, wie oft Sie den Unfug schon
begangen haben." — „Ach l es ist gewiß das erste Mall" versicherte

der junge Mann erregt. „Nun," sagte die Mrtspolizei milder,
„gehen Sie sofört hinauf und bitten Sie den ljerrn Medizinal-
rat, keinen Strafantrag zu stellen, er ist oin freundlicher kjerr.
— Da macht ja eben das junge Fräulein auf."

In der That kam Luischen, nachzusehen, und durch das
Lämpchen, das sio in der kjand hielt, und noch mehr durch ihre
liebliche Lrscheinung geblondet, fragte der geknickte Sünder
stotternd, ob der kjerr Medizinalrat zu sprechen sei.

Luischen bcjahte und geleitete ihn hinauf.

„Mein Name ist UUIdenl" stellte sich der Iüngling dem
alten bjerrn vor.

„U?as?I etwa gar der Sohn meines lieben Freundes und
Schulkamcraden Ioachim UAlden?"

„Mein Vater heißt allerdings so; doch wnßte ich nicht . . ."

„Achl Das ist schönl Rommen Sie nur gleich herüber zum
Nachtessen, das schon auf dcm Tische stcht, ich muß Sie meiner
Frau und Tochter vorstellenl — Luischenl Richte noch ein
Louvert, wir haben einon lieben Gast bekommenl"

Trotz aller gestottcrten „Aber" kam der beschämte junge
kjerr nicht zum lVort und saß bald inmitten der kleinen Familie
zu Tisch; doch ungeachtet der glänzenden Aochkunst seines rei-
zenden Gegenübers wollte ihm das Mahl nicht recht munden.
Der Medizinalrat erkundigte sich indessen so lebhaft nach seincm
alten Freunde, den er seit Iahren nicht mchr gesehen, daß
Ioachim, der seines Vaters vornamen trug, genug zu erzählen
hatte. Lndlich ergriff er die Gelegenheit einer Pause, um soin
Geständnis abzulegen, das ihm in Gegenwart der Damen
doppelt pcinlich wurde. Er bekannte dcm erstaunten alten
kjerrn, daß er morgen als Missethäter bei ihm angezeigt wer-
dcn würde, und bat ihn, von einem Strafantrag abzusehen,
 
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