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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0074
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Meg g en d o rfer - B l ä tter, BIünchen

Wie die Alten fnngcn.

tZ erichtsv ollzieh er lz» de„ Ri„der„, die i„ seiner AnuLstube spielcnN „Der kleirie Georg ist hente so rnhigl wie kommt das?"
Maxi „V Papa, der kann anch nicht schreien; wir haben ihm ein Siegel auf den Mund geklebt!"

tignng boten. Auf dem weißen tfals saß ein stolz erhobener
wohlfrisierter Aopf, der von eincm Gewirr widerspenstiger feiner
Goldhärchen — gegen das Licht gesehen — wie von einem
tfeiligenschein umslossen war. Bis in den Nacken hinunter kroch
der zarte blonde Flaum. Grübchen schmückten die vollen IVangen.
In den kleinen roten Ghrläppchen waren Boutons befestigt,
die fortwährend Blitze schossen.

Am selben Tische mit ihr saß in langcm Gehrock, die
Tigarette zwischen don Fingern, ein magerer, bartloser Iüugling,
niit dem sie selten ein tvörtlein wcchseltc.

Zuweilen drehte sie sich halb um, erfaßte niit ihrer kleinen
tfand zierlich das tveinglas nnd führte es langsam an die Lippen.
Dann sahen ihre großen dunklen Augenstcrne über den Rand
des Glases weg und senkten sich für eine kurze tveile in die
Augen Tgberts.

Zuorst glaubte dieser an einen Iufall. Als sich aber das
Manöver mehrfach wiederholte, erhob auch er mit dcn Augcn
still hinübergrüßend das Glas zum Munde. Vas mochte befrie-
digen, denn fie unterließ fortan, ihn anzublicken.

Zu Beginn der pause stand sie auf und verlicß ungeniert
ihren Platz, um hinauszngehen.

5ie mußte an Lgbert vorüber. Vieser hörte ihre scidenen
Röcke rauschen und spürte ihr Aleid an seinem Arm vorbei-
ftreichen, was ihm ein eigenes tvohlgefühl bereitete.

Auch „ihr bferr" schob jetzt den Stuhl zurück und wandte
fich dem Ausgange zu. Mochte der fade Geck gehen und —
nicht wiederkehren. Tgbert wäre cs schon rocht gewesen.

Lgbert blieb sitzen. Ihre lhandschuhe lagen noch auf dem
Tische — sie würde also wiederkommen und nochmals an ihm
vorbei müssen. Das mochte er nicht versäumen.

Richtig, da kam sie schon zurück! Abermals rauschte die
Seidc — Lgbert saß unbeweglich. Seine Nerven waren aufs
höchste gespannt. — Und da streifte sie wieder seinen Arm —
lange und nachdrücklich. Scine Sinne waren wie berauscht und

die lfand zitterte, als er jetzt die lvorte „lvann und wo?"
mit Bleistift auf sein jdrogramm schrieb. Unauffällig lcgte er
beides auf den Stuhl, der zwischen ihr und ihm stand.

Ls dauerte lange, ehc sie zugriff und las. Ruhig kritzelte
sie ein Zeilchen darunter. Ihr Tischgenosse kam zurück, gerade
als Lgbcrt dcn Zettel wieder an sich nahm.

„Uebermorgen hicr am selben Tische," lautete ihro Antwort.

?luf dem Nachhauseivege heute kam Tgbert die blonde Frau
nicht aus dem Sinne und auch des Nachts im Traume noch
erschien sie ihm.

Am anderen Tage freilich, als er erivachte, war die genuß-
freudige Stimmung von gestern verflogen. Ver moralische
Aater plagte ihn. Die leeren Betten von Frau und Aind
gähnten ihn gar so öde an!

Nach dem Frühstück setzte cr sich gleich an den Schreibtisch,
um seiner Frau mitzuteilen, daß cr sie sehr vormisse und ein
längeres Fortbleiben ihn tief betrüben würde. Und kurz und
gut, sie möchte sich gleich mit dem Iungen aufmachen und in
seine Arme zurückkehren. Tr erwarte sie morgcn ganz bestimmt.

„Meine liebe Frau!" hatte er schon begonncn. Va sah er
es im Sonnenschein, der hell durch das Fenster hercin drang, auf
dem Aermcl seines Rockes goldig schimmern. Lr griff verwundert
danach und hatte plötzlich ein seideniveiches Frauenhaar zwisch-
en den Fingcrn.

„Wo kam das her?"

Lr besann sichi ?lh, von ihr gestern Abend — als sie an
ihm vorbeigestrichen, mochte sich das lhaar an ihn gehängt haben.

Tr ließ es wieder und wiedcr in der Sonne glänzen, wickelte
es um seine ffinger und freute sich der zarten Fesscl. Die
herrliche Frauongestalt, dcr einer Fülle solcher Goldfäden zu
eigen war, stand im Geiste wieder vor ihin und die Trlcbnisse
jcnes Abends zogcn nochmals an seincr Seele vorüber.

Er sxielte lange mit dom goldenen Ding, legte es auf dem
dunklen Grund seincs Aermels zu allerlci Fignrcn zusammen
 
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