Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 51.1902 (Nr. 514-526)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16553#0038
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Bteggendorfer - Blät 1 er, Blünche n

Der Starostenmantel.

Dtto kroch jetzt auf den Leim. „Weggekommen?" rief er,
„in meinem Lfause kommt nichts weg. — Selbstverständlich
können sie nur heruntergefallen sein — ich will sofort selbst —
nein, nein l ob es Ihnen auf die paar Pfennige ankommt oder
nicht!" — wehrte cr der 2chelmin lachenden Protest ab — „in
meinem Lfause kommt nichts wegl"

Und fort war er. Der Aobold von Freundin warf sich,
Tränen lachend, in die Diwankissen; und ich? — es ist schlecht
von mir, aber ich gönnte es meinem pedanten. Ls war im
winter und daher dunkel. Und so kroch und rutschte er — da
das Utädchen nicht zu kfause war — eine halbe Stunde mit
einem tropfenden Stearinlichte auf don Unieen in der Uüche
herum und leuchtete unter alle Schränko — um drei jdfcnnigo
zu suchen — die nie dagewesen waren.

Als er — höchst aufgebracht darüber, daß ,in seinem lhause'
so otwas passieren konnte, hereinkam, tröstete ihn unser Besuch.
„Sie werden sich finden, kferr Rat" — sagte sie — „schenken
Sie sie dem nächsten Bettler." — Und großartig — mit meinen
sieben Pfennig als Trophäe in der Tasche, rauschte sie hinaus.

Nach dieser kleinen Abschweifung komme ich wieder auf
meine Geschichte zurück. Die kleine Stadt, die für uns zum
Glück nur cine Uebergangsstclle bedeutete, gefiel uns herzlich
schlecht. Schlechte wohnungen — schlechtes Pslaster, schlechte
Läden — am schlechtesten die Ntädchen. Uie intelligenten zog
die nahe Großstadt an — und uns blicben nur die dummen,
die faulen und die, welche direkt aus den väterlichen Schweine-
ställen kamen, um ,dressierÜ zu werden. Ich hattc mir eine
,Lmma' mitgebracht — vicr tvochen erblickten wir sie nur nnt
vom Lfeulen zum Aohlkopf angeschwollenem Lfaupt. Dann ver-
ließ sie uns — ,vor Lfeimweh' (das in diesem Fall eine Dragoner-
uniform trug und zweibeinig auf Lrden wandelte). So mußte
ich wahllos nehmen, was eben zu haben war. Das Schicksal
beschertc uns eine blauäugige ,Ida' — Muse der kfäuslichkeit —
verhülle schaudernd Dein lfauptl

Ida pfiff bei der Arbeit — probiertc die Temperatur dcr
Spciscn, indem sie die Finger hineinsteckte, und hatte außerdem
einen Lrbfeind in Gestalt einer sagenhaften und scheinbar uner-
sättlichen Ratze, die ,in der NachbarschafÜ wohnte (obgleich sie
weder unsere, noch sonst eines Sterblichen Augen je erblickt
hatten). Iedenfalls war das ein sehr merkwürdiger Umstand,
da diese Aatze, allein nach den Nahrungsmitteln, die sie aus
unserer Speisekammer ,geholt^ haben sollte, mindestens die
Größe und das Gewicht eines ausgewachsenen Rönigstigers
haben mußte. Außerdem traf ich Ida bei einigen Sonntags-
spaziergängen in meinen Blouscn. Zu bfause erklärte sie mir
zwar tiefgekränkt und vor Schluchzen fast erstickend, sie hätte sie
doch ,nur man ein bißchen drecklicher' tragen wollen, da sie ja
doch gereinigt werden müßten — aber ich bin nun 'mal so
arrogant veranlagt, meine Sachen gcrn selb er ,drecklig° zu tragen.

Ls wurde lVinter und die Geselligkeit begann. Aus-
schließen — das ging nicht — also „rin in das vergnügen."
Ietzt sah ich auch meinen Verehrer wieder öfter, und sofort
fing die alte Geschichte an, Dtto war eifersüchtig. Auch be-
nahm sich mein Leihaus-Freund wirklich auffallend. Lr
hatte sich eine gewisse verzweiflungspose angewöhnt, in
der er mich mit düster schmerzlichem Blick anzustarren pflegte;
nie verfehlte er, wenn wir gingon, in der Gardcrobo
bereitzustehen, den Mantel (notu bene einen neuen, silber-
grauen) schon über dem Arm, um ihn mir um die Schultern
zu legen. Nach solchen Abenden war Vtto tagelang von einer
so eisigen und tadellosen Lföflichkeit zu mir, daß ich mich an
den Nordpol versetzt glaubte. Seit einiger Zeit hatten sich
diese Dinge so zugespitzt, daß ich eine Aatastrophe fürchtete.

Nkein verehrer war mir vollkommen unverständlich, drückte mir
die kfände als wolle er mir fortwährend kondolioren, und seufzte,
daß es allgemein aufzufallcn bcgann. Ich nahm mir vor, ihm
darübcr einmal gründlich meine Nleinung zu sagon, und es
paßte mir daher gut, daß or mich zu einem Uonter engagierte.

Leider postierte sich Vtto dicht hinter uns. So konnte ich
nur in Absätzen flüstern: „Ich muß Sie durchaus sxrechen —
aber allein."

Gustav verdrehte seine kfechtaugen bei diesen Morten auf
eine Art und lVeise, daß ich fürchtete, fie würden nie mehr
auf ihre rechte Stelle wicder zurückkehren.

„Ich wollte dasselbe, tcure, teuerste Fraul"

„Lsell" dachte ich grimmig. „vorsichtl" slüsterte ich, „wann
kann ich Sie sprechen?"

„Auch ohne tvorte verstehe ich alles — alles — warum
vertrauten Sie dem Frennd Ihrer Aindheit nicht längst? —
tvarum die Nmwege?"

tvas meinte denn der Schafskopf eigentlich? Der schien
mich ja gründlich mißzuverstehen.

Aber da stand Dtto, nnd wir mußten schweigen.

Am anderen Tage war eine Schlittenpartie verabredet,
und ich wollte bereits im eleganten, pelzbesetzten Tuchkostüm
die Treppe heruntersteigen, als mich Vtto aufhiclt. Ich müsse
mich wärmer anziehon. Den Abendmantel wollte ich nicht
nchmen, so entsann ich mich des alten Freundes, des pelz-
gefütterten Starostenmantcls.

„Bringen Sie schncll den Starostenmantel I" rief ich Ida zu.

Ida meinte, es wäre nicht kalt, „gar kein bißchen kalt."

„Sie haben nichts zu meinenl Den Starostenmantell
Dalli!" rief Gtto.

Ida verschwand, und wir harrten ihrer tviederkehr. Die
Nlinuten verrannen. Als deren fünf, ohne Ida zurückzubringen,
im Strom der Zeit dahingeflossen waren, brauste Gttos Ruf,
gleich Donnerhall, durch den Aorridor. Daraufhin erschien Ida
und versicherte mit sehr rotcm Gesicht, daß sic dcn Ntantel
„nirgends nich" finden könne.

„In meinem lhause . . ." begann Vtto würdevoll —

„Ach Gott, ja dochl" sagte ich ärgerlich. „Lr ist selbst-
verständlich da — die Ratze frißt ja zum Glück keine Nläntell"
Und ebenso würdevoll rauschte ich, erhobenen ksauptes, nach
der Garderobe.

Aber der Nlantel war wirklich nicht da. Ich kehrte höchst
befremdet zu Vtto zurück, der eben über die unerhörte und
unverzeihliche Unordnung in „seinem lfause" zu stöhnen anfing,
als ein eruptives Geheul unsre Aufmerksamkeit auf dic Iung-
frau lenkte, der das hcilige Feuer unseres lherdes anvortraut war.

„Aha!" sagte Vtto mit grimmigem Lächeln, „Fräulein
Ida hat ihn stehlen lassenl Nun, diesmal wollen wir uns
doch einmal an ihrem Lohn schadlos halten, vielleicht hilft das
besser als alles andere. Dieses kostbare Stückl Ls ist zum
lfaarausraufcnl"

Ida zog hier vor, auf die Rniee zu fallen. „kserr Rat,
lherr Ratl" heulte sie, „ick habe ihn ja man bloß versetzt.
gestolle is er ja nich — enä — meine Mutter hatte jrade keno
Niiete — un —"

„versetztl" schrie Vtto, und starrte mich entgeistert an.

„versetztl" hauchte ich und sank auf einen Stuhl.

„In meinem lfausel versetztl Dies kenntlicho Stück. lvo
haben Sie ihn vcrsetzt, Unglückliche?" schrie Gtto außer sich.

„Den Namen — weiß ick nich — Pfänder — werden
unter Ver—Verschwiegenheit — von und nach — dem Leihhaus
besorgt — stand vorne," schluchzte Ida.

„Schaffen Sie das lveibsbild mit dem Ulantel sofort hier-
her!" donnerte Dtto wutschnaubend.
 
Annotationen