^arbig
rllustrierte
(Hochenlchrift.
Munchen.
Etzlingen. Wien.
H103.
Abonnement pro Tuartal 3 Nark, bei allen Buch- u. Runsthandlungen, Zeitungsexpeditionen
und jdostäintern (Zt.-Nr. 3915.) Linzclne Nunnner 25 — Insertions-Preis 50
die Noupareille-Zeile. Zriseraten-Annahme direkt u. durch sämtliche Annoncenexpeditiouen.
Äin Lusispielkuß.
rau Lommerzienrätin lvalther saß am Fenster
vor ihrein Nähtisch und säumte. Doch
geschah dies nicht in ihrer gewohnten
ruhigeu, exakten weise. Die Stiche wurden
ungleich und die Nadel rastete öfter, als
arbeitete. Auch die stets gleichmäßig beitere
Mieue der Dame zeugte vou eiuer gewissen Un-
ruhe uud ihre Ateiuzüge schwolleu hie und da
zu eineiu leisen Seuszer an, der sie
sedes Nal ihre Thätigkeit
unterbrechen und einen
sinnenden Blick aus die
Btraße oder noch öster
nach dem zweiten
chenster des lvohnzimmers hinüber
wersen ließ, wo Lmma, ihr reizen-
des achtzehnjähriges Töchterchen, da-
mit beschästigt war, für vaters
Geburtstag eineBtickerei zu liesern.
Zndeß auch dicser Arbeit war
heute kein förderlicher Tag be-
schieden. Weit häufiger als auf
dcn bunten Fäden ruhte der Blick
des hübschen Mädchens anf einein
aufgeschlagenen chefte, aus dem sie zu
memorieren schien. lvenigstens bewegten
sich ihreLippeu eifrig im leisen Lernen und
ein unbeschreiblicher Ausdruck von Glück und
Stolz slog iiber das schöne Gesicht, wenn wieder cin
Latz dein Gedächtnis eingcprägt war. Sie weilte offenbar mit
Leib und Seele bei ihrein Studiuin; felbst das INienenspicl
wechselte lebhaft je nach dem Sinn der U)orte, die ihr Auge
vom Papiere las — nun hob sich die kleine chand in fpröder
Abwehr, dann wieder ftrebte sie herzlich einem unsichtbaren
Freunde entgegen und jetzt plötzlich spitzte sich der Nund unter
verschäint süßem Lächeln zu einem höchst bedenklichen Rüßchen
— — aber da erwachte sie jäh aus ihrem Traume mit tiefem
Trröten und cin fcheuer, schuldbewußter Blick slog zur Nutter
hinüber, welche die Entwicklung der letzten Scene mit immer
ernsterem Ropfschütteln beobachtet hatte.
„Romm 'mal her zu mir, Lmma l" sagte sie dann nicht ohne
eine gewisfe Strenge im Ton.
Das Nädchen erhob sich zögernd und trat mit niederge-
schlagenen Augen an den Nähtisch der Nutter.
Ich habe mit dir ein paar sehr ernste kVorte zu
sprechenl" hub diese an. „Ls betrisft Eure kvohl-
thätigkeitsvorstellungl Du weißt, daß ich
nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn
du bei dein Lustspielabend, den die Ba-
ronin zum Besten der Stadtarmen in
ihrem chause mit Dilettanten ar-
rangieren will, mitwirkst; indcß du
hättest inir früher sagen sollen, was
für eine Rollc dir dabei zugedacht
war — gegeil diese würde ich
sofort energisch Linspruch erhoben
habenl"
„Aber Mama," stammelte
Lmma und drückte das lsieftchen,
welches ihren fdart enthielt, fest
a sich, als sollte ihr schon dieser
köstliche Schatz entrissen werden, „die
>lle ist doch so hübsch und harmlosl"
„chübsch — mag sie sein, harmlos
entschicden nichti Sieh, Tmma, du bist ein kluges
Rind. ich kann mit dir offen reden! lveun ich mir auch
alle die anderen zärtlichen Ausdrücke und Sätze, die darin
vorkommen, noch gefallen lasscn wollte, obschon sie mir iin Nunde
eines jungen Nädchens gegenüber einein jungen Mannc selbst
auf der Bühne nicht schicklich erschcinen, so kann ich doch mit
dieser Rußscene absolut nicht mit einvcrstanden sein —
das schickt sich einmal nicht, das geht nicht!"
rllustrierte
(Hochenlchrift.
Munchen.
Etzlingen. Wien.
H103.
Abonnement pro Tuartal 3 Nark, bei allen Buch- u. Runsthandlungen, Zeitungsexpeditionen
und jdostäintern (Zt.-Nr. 3915.) Linzclne Nunnner 25 — Insertions-Preis 50
die Noupareille-Zeile. Zriseraten-Annahme direkt u. durch sämtliche Annoncenexpeditiouen.
Äin Lusispielkuß.
rau Lommerzienrätin lvalther saß am Fenster
vor ihrein Nähtisch und säumte. Doch
geschah dies nicht in ihrer gewohnten
ruhigeu, exakten weise. Die Stiche wurden
ungleich und die Nadel rastete öfter, als
arbeitete. Auch die stets gleichmäßig beitere
Mieue der Dame zeugte vou eiuer gewissen Un-
ruhe uud ihre Ateiuzüge schwolleu hie und da
zu eineiu leisen Seuszer an, der sie
sedes Nal ihre Thätigkeit
unterbrechen und einen
sinnenden Blick aus die
Btraße oder noch öster
nach dem zweiten
chenster des lvohnzimmers hinüber
wersen ließ, wo Lmma, ihr reizen-
des achtzehnjähriges Töchterchen, da-
mit beschästigt war, für vaters
Geburtstag eineBtickerei zu liesern.
Zndeß auch dicser Arbeit war
heute kein förderlicher Tag be-
schieden. Weit häufiger als auf
dcn bunten Fäden ruhte der Blick
des hübschen Mädchens anf einein
aufgeschlagenen chefte, aus dem sie zu
memorieren schien. lvenigstens bewegten
sich ihreLippeu eifrig im leisen Lernen und
ein unbeschreiblicher Ausdruck von Glück und
Stolz slog iiber das schöne Gesicht, wenn wieder cin
Latz dein Gedächtnis eingcprägt war. Sie weilte offenbar mit
Leib und Seele bei ihrein Studiuin; felbst das INienenspicl
wechselte lebhaft je nach dem Sinn der U)orte, die ihr Auge
vom Papiere las — nun hob sich die kleine chand in fpröder
Abwehr, dann wieder ftrebte sie herzlich einem unsichtbaren
Freunde entgegen und jetzt plötzlich spitzte sich der Nund unter
verschäint süßem Lächeln zu einem höchst bedenklichen Rüßchen
— — aber da erwachte sie jäh aus ihrem Traume mit tiefem
Trröten und cin fcheuer, schuldbewußter Blick slog zur Nutter
hinüber, welche die Entwicklung der letzten Scene mit immer
ernsterem Ropfschütteln beobachtet hatte.
„Romm 'mal her zu mir, Lmma l" sagte sie dann nicht ohne
eine gewisfe Strenge im Ton.
Das Nädchen erhob sich zögernd und trat mit niederge-
schlagenen Augen an den Nähtisch der Nutter.
Ich habe mit dir ein paar sehr ernste kVorte zu
sprechenl" hub diese an. „Ls betrisft Eure kvohl-
thätigkeitsvorstellungl Du weißt, daß ich
nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn
du bei dein Lustspielabend, den die Ba-
ronin zum Besten der Stadtarmen in
ihrem chause mit Dilettanten ar-
rangieren will, mitwirkst; indcß du
hättest inir früher sagen sollen, was
für eine Rollc dir dabei zugedacht
war — gegeil diese würde ich
sofort energisch Linspruch erhoben
habenl"
„Aber Mama," stammelte
Lmma und drückte das lsieftchen,
welches ihren fdart enthielt, fest
a sich, als sollte ihr schon dieser
köstliche Schatz entrissen werden, „die
>lle ist doch so hübsch und harmlosl"
„chübsch — mag sie sein, harmlos
entschicden nichti Sieh, Tmma, du bist ein kluges
Rind. ich kann mit dir offen reden! lveun ich mir auch
alle die anderen zärtlichen Ausdrücke und Sätze, die darin
vorkommen, noch gefallen lasscn wollte, obschon sie mir iin Nunde
eines jungen Nädchens gegenüber einein jungen Mannc selbst
auf der Bühne nicht schicklich erschcinen, so kann ich doch mit
dieser Rußscene absolut nicht mit einvcrstanden sein —
das schickt sich einmal nicht, das geht nicht!"