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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 12.1893 (Nr. 105-117)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20271#0039
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L. M e g g e n d o rfe r s Humoristische Blätter.

Verschiebener Äeschmack.

noch ganz besonders, das zierliche, dunkelhaarige
Aöpfchen ihrer Lieblingsschülerin, stecke nrcln'
voll von tveisheit, als die Dickschädel dor ande-
ren, säintlichen jdensionärinnen zusammen ge-
nommen. —

Ia, so gerade hatte Mutter ihr Aind sich
immer gowiinschtl Aeine Zierpnppe, klug und
doch bescheiden, ohno blanstrümpfliche Selbstge-
fälligkeit. Ia, ja, das treffliche Institnt der
Damen Meier war eben keine Drillkascrne. Dort
galt noch Altmeister Göthes tvort: „Natur,
mein lserr, Natnrl" — Die verständigen Lrziehe-
rinnen suchten ihre lhauptaufgabe nicht darin,
die ihnen anvertraute Iugend schablonenhaft zu
steifen, seelcnlosen französische Brocken plappern-
don Marionetten zu erziehen, was ja auch ein
Papagei erlernt, sondern ließen ein jedes
Mädchen sich frei nach seiner Individualität cnt-
wickeln. Darum galt bei ihncn auch jugendlicher
Frohstnn und kindliche lheiterkeit nicht als un-
passend für angchende Damen und als ein
verbrechen gegen Anstand und gntc 5itte. „Lrst
fei gut nnd rein, dann wcrde klug und fein,"
lautete der lvahlsxruch der trefstichen Damen,
nnd damit hatten sie, trotz aller Schulbildung,
noch immcr liebe, natürliche Mädchen erzogen.

Als Nutter und Tochter, nachdem derthränen-
reiche Abschied von den mütterlichen Pstegerinnen
gliicklich nberstanden war, zusanrmen auf ihrem
Zimmer im Lsotel saßen, begannen sie zu über-
legcn, was man uun heute Nachmittag in der
Reichshauptstadt noch am Besten vornchmen
könne; man wollte nämlich, da der Vater nn-
päßlich war, schon andern Tages die lheimfahrt
antreten.

Da bat Liesbeth: „Gh, Mütterchen, wenn
Du mir eine rechte Freude machen willst, laß'
uns das Panoptikum besuchcn. Dahinein bin
ich noch nicmals gekommen. Fräulcin Meier hat
uns nur iminer dic Affen im Zoologischen gezeigt."

Die Mntter willfahrte gern, und bald schritten
sie znsammen nnter den lvachsfiguren uniher,
über die Liesbeth, trotz ihres damenhaft langen
Aleides in ein ccht kindliches Lntzücken geriet.

Sie durchwandcrten zuerst den großen Saal,
bewunderten darin die kaiserlichen und könig-
lichen Ljerrschaften und standen lange, mit innigcr
vcrehrung zu diesen Beiden aufblickend, vor dcm
greisen lheldenkaiser Milhelm dcm Siegreichen,
nnd seinem getrenen Altrcichskanzlcr mit den markigen Ziigen.
Auch dem Ludwig, dem lvittclsbacher, weihten sic in dankbarer
Anorkonnung, daß er am lviederanfbau des großen, dentschen
Rciches troulich mitgearbcitet, cin paar Minnten der Lrinnernng,
Liesbeth sogar ein sentimentales Thränchen. Dann dnrchschritten
sie die angrcnzondeii klcineren Zimmer. — Da sahen sie auf
dem Sessel, den sonst Rothschild, der alte Schäkcr eingonomiuen,
nervöse Panoptikumsbcsucherinnen nnr zu oft mit scinem Aopf-
drehen gewaltig erschreckend, cincn Seckapitän in voller gold-
strotzender jdaradeuniform sitzon. Mutter und Tochter traten
vor die Figur hin, nnd erstere stntzte ordontlich. „Nein, so etwas
täuschend dom Leben Abgelauschtes hab ich doch noch nie gcschenl"
rief sie bewundernd. „Liesel, sieh, ist 's nicht fast, als ob er
lcbt und atinet?! Ia, weiin der starre Blick nicht wäre" .

Dcrs ist Liner — der Backfisthe „poussiert" —

und Liner — der Backsisthe „soupiert!"

Das zerfchmohelre Ler.;.

Linc heitere panoxtikunigcschichte.

IM ran Gutsbcsitzer Treiimann war nach Berlin gekommen,
um ihr im vorigen Monat sechzehn Iahre alt gewordenes
und nnnmehr mit der höheren Ausbildung fertiges
Töchterchen aus dem pensionat der Fräulein Meicr abzuholen.
Mntter konnte auf ihr Aind stolz sein. tvie hübsch, nein, wie
reizend, um der Aleinen, dio eigentlich nun eine schlanke Große
war, nicht Unrecht zu thun, Liesbeth sich in diesem letztcn Iahre
doch entwickelt hatte! Das war ja cinc fertige Dame, die
Mama stürmisch, noch immer mit der altcn Ainderzärtlichkoit
um den stals fiel. Und, das freute Frau Treumann namentlich,
wie lieb und natürlich war das Mädchen mitten im Residenz-
leben geblieben l Und dabei versicherte Fränlein Meier der Mutter
 
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