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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 13.1893 (Nr. 118-130)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20270#0017
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L. Meggendorfers k) uin o r i sti s ch e

B l ä t t e r.



Das sonderbare Rind.

alten Schreiberinncn, nachdcm er dic cinzelnen Briefe zerrissen,
in den jdapierkorb.

„5o — niin, meine Dainen, wollcn wir seheni" rief er
lachcnd, indem er sich cine neue Ligarre anziindete.

Er las jctzt jeden Briof genan dnrch. Aber nach der
Lektnre cines jedcn lioß cr cin „Allcs nichtsl" vernetzinen.
Alles, was er las, wanderte, schncll zerrissen, in den Papiorkorb.

weit iibcr die ksälste der Briefe war jetzt durchgclesen,
noch iminer war nichts passendes gefunden.

„Lndlich cine Abwechslnng!" rios kscrr Secger plötzlich
aufatmend, als er oben cincn in ein rosenrotes Louvert ver-
schlossen gewcscnen Brief entsaltct hatte. „Doch wenigstens
'mal cine feste kjandschrift! And cin Stil l Zllle tvotter, das
Mädel schreibt gnt! — tvie alt ist — oh — 22 Iahrc! Ganz
wie gcwnnscht! — lsml — Ia — der werde ich schreibcn!"

Er schob dic noch nicht dnrchgclescnen Briefe zur
Seite und las dann
den cben dnrchgesestcncn
Bries noch cinmal genan
dnrch.

„Ia, der wcrde ich
sofort schreiben! Schade,
daß sie auswärts wobnt I"

III.

Zwei Tage warcn
seit Absendung des
Briefes vcrgangen. lserr
Seeger hatte eben dio
Durchstcht der einge-

gangenen Gcschästsbriefc '

becndet und war im ^

Bcgriff, sei,ien alltäg-
lichen Rnndgang dnrch
di° Geschäfts- und
Fabrikränmc zu machcn,
als ihm cine junge Dame

angemcldct wnrde.

§r lies; dieselbe in
sein Tomptoir fiihren.

»Vlga Pobl!"stellte
sich dio junge Dame vor,
indem sie gleichzeitig
seinen Bries vorlegtc.

„Al>o das ivar sie! — Mirklich nicht iibel! Schlanke, biog-
saine Gestalt, dunkles lsaar, ebensolche dunkle, festblickcnde Augen,
einsache aber geschmackvolle Aleidung — das Aenßere der Lr-
ziclicrin mußte ^edom gefallen. Ivenn itzre geistigen Fähigkeiten
dcm cntzprechen, hatte er das Richtige gctroffen.

„Sind trie gencigt die Stollung anzunchmen, mein Fräulcin?"
begann lserr Sceger, nachdem er dcm Besuch oinoii Stuhl zu-
geschoben hatte.

„ftaben Sie irgcndwelche Trfolge aus erzieherischem Gcbiete
aufzuweisen?"

„Nein!" kam es noch schiichtcrner als vorhin iiber die etwas
zitterndon Lippen.

„So — hm!" —

„Ich habe nur Ainder recht gern und bin selbst von den
Aleinen immer schr gern gesehen."

„Gcpriifte Aliidcrwärtcrin sind Sie also nicht?"

..Ncin I"

»Ia."

„Und Geschwistcr?"

„Ia — zwei Schwestern."

„Sind dieselben verheiratct?"

Sie zögerte cine lveile mit der Antwort. Das vcrhör
schien ihr ctwas sehr eingehcnd zu scin.

„Eine ist vcrheiratct."

„Sie finden mich sehr neugierig, niein Fräulein, nicht wahr?"

„Lftn! ich — ich wciß nicht, wie es sonst bci derartigcn
Engagements ist."

„viellcicht etwas anders. Aber ich mnß so viel sragen.
Ls handclt sich hicr um cin ganz eigenartiges Aind. Ich habc
den Lltcrn vcrsprochen, demsclbcn eine in jedcr Lsinsicht passendc
jdflegerin und Goscllschasterin zu vcrschaffen, ich muß dahcr
anf's Genaueste wisscn, mit wem ich es zu thun habe. Alles
was Sio mir iibrigcns sagen, bleibt vollständig untcr uns."

„Ihr Lserr Papa ist Lehror?"

„I°-"

„tsaben Sie noch die Niutter?"

„Ich werde gauz
gcnaue Zlntworten
geben."

„Gut! .— Also vcr-
kehren Sie vicl mit ihrer
verheirateten Schwester?"

„Nein,wirverkehrcn
sehr wcnig, ihr Mann
gefällt mir nicht."

„So! lvas ist Ihr
fterr Schwager?"

„Auch Lchrer, wie
jdaxa."

„Fiihlt sich Ihre
Schwcstor glücklich?"

Sie sah ihn wioder
sragend an.

„Ich iniiß es wisscn,
mein Fräulein, es ist für
niich von Bedeutung."

„Nein — ihr Mann
ist alt und häßlich. Sic
hat ihn nur genommen,
um — um nicht sitzen
zu blcibcn."

„Und Ihrc unver-
heiratete Schwester?

tvcshalb ist diese noch nicht verhciratot?"

„Sic hat in jüngercn Iahren keinen passendcn Mann bc-
kommcn kännon. Ietzt hat sie vollständig entsagt."

„kvie alt ist diese Schwester?"

„Fünfunddreißig Iahre."

„tvomit bcschäftigt sie sich?"

„Sie macht ksandarbeiten für Geschäfte."

„ftaben Sic hier in dcr Stadt Verwandte?"

„Nein."

„ksabcn Sie sonst viclc verwandte, mit denen Sie ver-
kehren ?"

„Ich verkehre nur mit meinen Lltern und mit meinen
beiden Schwestern, außerdem noch mit einer alten Tante."
„Aber Frcundinnen haben Sie?"

„Eigentlich keine einzige mehr. Sie haben sich alle ver-
heiratct."

„Das gefällt mir, ich möchte cine Dame init rccht gcringem
Anhang cngagiercn. Die Dame soll sich ebcn nur um das be-
trcffende Aind, sonst nm nichts in der lvclt kümmcrn."

(Schluß solgt.)
 
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