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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 15.1893 (Nr. 144-154)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20273#0009
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L. Meggendorfers t)umoristische Blätter.

9


ausgezeichneter Romandichter in mir. Aber ich lasse ihn
schlummern, weil mir das Schreiben zuwider ist. 5ie stellen sich
nicht vor, welchen bsaß ich auf die Aegyxter gcworfen habe,
seit ich einmal gelesen, daß sie das Schroiben erfunden l>aben.
Im Lontor bin ich deshalb nie zu brauchen gewesen. Man
hat mich anf Reisen geschickt und ich befinde mich anßerordent-
lich wohl dabei. Meine Leidenschaft empfängt nnterwegs die
köstlichste Nahrung, zumal ich auf das Zärtlichste für ihren
Unterhalt besorgt bin. Nun werden Sie die Sxannnng begrcifcn,
in die mich meiue Reisegesellschaft von gestern versetzte. Ich
hätte ein Prozent meinor Tageseinnahme darum gegeben, wenn
ich die Briefe hätte lesen können."

Lr machte eine jdause und sah mich herausfordernd an.
Der Blick, den ich ihm zur Antwort gab, war jedenfalls nicht
von bsochachtung erfüllt. Aber er bemerkte es nicht; oder
wenn er es bemerkte, machte es keinen Tindruck auf ihn.

„Der Zufall kam mir zu ksilfe," rief er und hätte mich
wieder auf das Anie geschlagen, wenn ich es nicht schnell zur
Seite geschoben hätte. Diese Weise, die Aufmerksamkcit seiner
Zuhörer zu erhöhen, schien ihm sehr geläufig. Lr lächelte ohne
sich zu entschuldigen und fuhr fort:

„Der lsimmel war otwas trübe gewesen, als wir aus Ulainz
abfuhren. Lr hellte sich während nnserer Fahrt zuschends auf.
Nur noch ein j)aar zum Scherzen aufgelegte Wolken versuchten

immer wieder blinde Kuh mit der Sonne zu sxielen. Die aber,
des Spiels miide, durchbrach die sie umschlingenden ^lrme und
gerade als wir in den Bahnhof Bingen einfuhren, hielt sie ihren
glänzendon Linzug in das Rheinthal und sunser Toupö. Der
lserr, welcher während der letzten zehn Alinnten den Ropf zum
Fenster hinausgesteckt hatte, zog denselben plötzlich zurück und
während der Zng zum Stehen gebracht wurde, sagte er: „lVir
fahren mit dem Dampfschiff wciter. Aomm schnell! Ls legt
soeben an. Wenn wir laufen, kommen wir gerade noch mit."
Und ihre Sachen zusammenraffend, drängte er seine Begleiterin
aus dem Louxs. Ich war auf dem jdunkte, mich iiber den
thörichten lherrn zn ärgern, der mir mein reizendes Gegenüber
mit samt ihren interessanten Briefen entführte, als ich — stollen
Sie sich mein Lntzücken vor! — als ich anf dem Fußboden das
Briefbündel liogen sah. Sie hattc es, nachdem sie golesen, mit
einem blauen Bändchen wieder säuberlich zusammengeschnürt —
und nun hatte ich meinen Schatz. Ich verhiolt mich mäuschen-
still, bis ich es unter mir klappern hörte. Dann eilte ich an
das Fenster auf der Rheinseite. Das Dampfboot trieb eben von
der Landungsbrücke ab, in gleicher lhöhe mit mir. llleino beiden
Bekannten standen an der Brüstung und schauten zu mir herüber.
Die Gosichter hätten sie schen sollcn, als ich ihnen meinen Fund
aus der Forne zeigte! — Und nun werden sie auch meine N)ut
von vorhin verstehen." lSchluß foigt).

(Kemütlich.

ksandwerksbursche lnrbon dem Zuge d°r Sekundärbahn herlaufend, zum Lokomotivführer)^ „Lrlauben Sie! Geben S' mir doch, bitte, eine
Glimmkohle, meine jdfeife ist ausgegangen!"
 
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