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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 4.1891 (Nr. 1-13)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20269#0010
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L. Neggendorfers Humoristische Blätter.

Das Lpiegelbild.

liebsten kleinen Rnaben das Leben. Der 2ohn er-
hielt den Namen Tchin-Ling und das Nädchen
wurde entsprechend ihrer wunderbaren Lchönheit
Iu-Riouan getauft; beide Äamen bedeuten „die
Perle" und „der Iaspis".

2n keinem der beiden Häuser wußte man etwas
von dem freudigen Lreignis bei dem Nachbar, denn
selbst den Tienern war es bei Rndrohung von Bam-
bushieben verboten, mit denen des Nachbarhauses,
wenn sie sich zusällig begegnen sollten, auch nur eine
Ailbe zu wechseln. —

Als die Äinder größer geworden waren, erregte
oie mitten durch den 2ee gesührte Holzwand ihre
Nufmerksamkeit, weil sie den kindlichen Tesichtskreis
eng begrenzte. Auf die Hrage, warum denn die
Nauer dort stehe und wem die hohen Bäume zuge-
hörig, deren Apitzen man darüber hervorragen sehe,
erhielten sie den Bescheid, daß dort ganz sonderbare
Leute wohnen, die — wunderlich, unfreundlich und
überhaupt ungesellig seien, so daß man die Nauer
aufführen mußte, um jede Berührung mit den bösen
Nachbarn zu vermeiden. Tiese Lrklärung genügte
den Aindern: sie gewöhnten sich an die bölzerne
Nauer und dachteu bald gar nicht mehr an dieselbe.

Iu-Aiouan wuchs heran in Zchönheit, Erazie
und Bortrefflichkeit. Ganz besonders geschickt zeigte
sie sich in den Bandarbeiten ihres Eeschlechts; sie
schwang die Naoel mit unvergleichlicher Tewandt-
heit. Tie Lchmetterlinge, welche sie auf Leide stickte,
schienen zu leben und sogar die
Hlügel zu rühren; man hätte
schwören mügen, daß
man dem Eesang der
vögel lausche, mit wel-
chen sie ihre Teppiche ge-
schmückt, ja, so mauche
Aase wendete sich ent-
täuscht von ihren Zticke-
reien ab, weil sie den
Nohlgeruch der Blumen
einsaugen wollte, welche
Iu-Aiouan da-
rauf hingesäet
hatte.

kannte er uicht nur
anderen Wörter

die s200 einfachen und ceOO
seiner Zprache, verstand er sich
nicht nur in der gewöhnlichen
Amgangssprache auszudrücken,
s ondern er parlierte auch meister-
baft in der gebildeten Hof- und
Nandarinensprache.

Alle Nütter dachten, daß
ein in den Mfsenschaften so
vorgeschrittener junger Nann
ein ausgezeichneter Achwieger-
fohn würde, da er noch zu
hoheu Lhren gelangen müsse.
Tchin-Ling schickte jedoch alle
Eelegenheitsmacher,
welche man zu ihm
sandte, mit dem
Bedeuten fort,
daß es zu früh
sei und er vorläufig noch die Kreiheit genießen wolle.
äo refüsierte er die schönsten und reichsten Nädchen
Lantons.

Iu-Aiouan zeigte sich nicht weniger schwierig bei
der N>ahl eines Tatten; sie wies alle Bewerber ab.
Tieser grüßte mit zu wenig Trazie, jener verwendetc
zu geringe Lorgfalt auf seine Aleidung; an jedem
'and sie etwas auszusetzen; dabei verstand sie es,
ich iu so komischer Weise über die Aehler der Heirats-
'andidaten lustig zu machen, daß ihre Lltern herzlich
lachten und die armen Teufel unbarmherzig vor dic
Thüre setzten. (Ichluß folgt.)

^ a t a l.

Toch hierauf beschränkte sich das (L.alent dcr
heranwachsenden Iungsrau nicht allein; sie wußte
auch ein ganzes Buch Sden, sowie das Ho-ke-kid
i Buch schöner Blumen) auswendig und keine Hand
vermochte schneller mit dem Pinsel schwarze Lharaktere
auf Seidenpapier zu zaubern. als die ihrige.

Auch Cchin-5ing hatte sich einen reichen Wissens-
schatz aus seinen Ltudien zu eigen gemall)t; bei allen
s.>rüfungen wurde sein Namc unter den ersten ge-
nannt. und obgleich noch verbältnismäßig jung,
 
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