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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 6.1891 (Nr. 27-39)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20906#0071
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L. Neggendorfers Humoristische Blätter.

69

Hilfe in der Not.

und fchritt die Reihen hinauf. plötzlich — was rvar
das? — alle laufchten gespannt und Ivnickerich selbst
wohl am verwundertsten! — vernahm man von dem
Lette, in welchem Iehle lag, ein leife und lallend
anhebendes, allmählig aber lauter und deutlicher
werdendes Traumgespräch. Tabei focht der Rleine
unruhig mit den Armen um sich, als wollte er etwas
auf das heftigste von sich abwehren. „A)ie!" stöhnte
er. „Schon wieder Tchmarren! Lauter Zchmarren!
— Tiese ewigen Nehlspeisen! Nan wird ganz
uervös davon! — And da soll man noch lernen
können, da soll man noch die Achönheiten Homers
und den tiefen Eeist des Temosthenes verstehen —
mit diesem verkleisterten tzirn, mit folchen Nehlklößen
im Aopf! Hleisch — Hleisch will ich haben!" T>ann
setzte die verschleierte Ttimme des Iungen ctwas ab,
um nach einigen Augenblicken atemlosen Lauschens
aller übrigen wieder und zwar diesmal in wesentlich
sreudigerem Cone zu beginnen: „Ach, Papa, wie
gescheit ist's doch, daß Tu zu unserem Naifest ge-
kommen bist! Hast Tu vielleicht eine Wurst bei
Tir? — Her damit! — Ah, du lieber Eott, Hleisch!
Mie das schmeckt! Aleißt T>u, wir kriegen niemals
welches! — 2am jam!" klnd der Iunge begann im
Achlafe so naturgetreu nnd mit solchem Wohlbehagen
zu essen, daß seine Aameraden die schwerste Akühe
hatten, um ihr Telächter zn verbeißen, und mit den
Aöpfen kichernd unter die Bettdecken fnhren.

Anickerich aber, welcher, entsetzt über das Antlitz
des Iungen gebeugt, auf dessen Tvorte gelauscht hatte,
ging rasch, ohne seinen Rundgang zu vollenden uud
die übrigen zu beachten, aus dem Saal.

Am uächstcn Cag waren die Iöglinge bei der
Mittagstafcl pasf. Cenn Hans der Aufwärter schlepptc

eine große Platte köstlich
dustenden Bratens in dcn
Caal.

„Akeine jungen Kreun-
de!" sprach Anickerich
würdevoll, mit gnädigem
Cächeln auf die entzückten
Acienen seiner Psleglinge
niederblickend. „Nsns sana
in corpors sano — die
Anstrengrnrg des Keistes
verlangt auch einen kräs-
tigen gesunden Aörper,
eine genügende Nenge
frischen gesunden Blutes!
Tarum wollen wir, nach-
dem wir bis jetzt durch
das Kenießen nahrhafter
Akehlspeisen die übrigen
Aestandteile unseres Cr-
ganismus gestärkt haben,
nun auch sür unser Blut
sorgen uud häusig und
tüchtigßleisch essen! Tann
wächst die Arast in euch,
dann werdetihr dieLchön-
heiten Homers und den
tiefen Ceist des Cemost-
henes erst ganz verstehen,
und morgen bei dem Mai-
seste werdet ihr gewiß
gerne euren Lltern er-
zählen, welch' prächtigen
Braten wir so hciusig und
reichlich essen, damit sie
crkennen, wie gut hier für euch gesorgt ist!"

C>ie Pensionäre waren osfenbar von der Kille
seiner 8üte innig gerührt, denn alle ließen die Aöpse
ties auf die Teller hängen. A)er ihnen freilich iu's
Tesicht gesehen hätte, würde aus allen Mienen ein
schlaues Zchmunzeln bemerkt haben. Aur Iehle saß
aufrecht da und sah so seierlich in das Kesicht des
Cirektors, als sei er tief im Innersten von der hohen
Bedeutung dieser Atunde ergriffen.

Aachher im Tarten aber rief er: „Aa, Iungen, hab'
ich's recht gemacht? Aun ist die Epoche ewigen Cchmar-
rens vorüber — das goldene Ieitalter des Bratens bricht
an! Heute gab's schou den ersten — vivant ssgusntss!"

„Hurrah Eugen!" riefeu seine Aameraden dank-
baren Herzens. Änickerich aber, der sie vom Kenster
aus beobachtete, ohne indes ihre A)orte zu verstehen,
murmclte mit dem Aopfe nickend: „Also doch wirklich
das Kleisch! A)as ist schon heute sür ein Leben in den
Iungen! Ia, ja, diese abendlichen Zchlassaalinspizier-
ungen sind ein pädagogisches tzilssmittel von eminentem
Werte! T>a blickt man den Iungen in die Ieele!"

Kuter Anickerl! A)enn Cu gewußt hättest!
 
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