Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 6.1891 (Nr. 27-39)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.20906#0093
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
92

L. Neggendorsers Humoristische Blätter.

Der lLntwischte.

„Hier auf der Treppe — da sitzt er ja!" ant-
wortete sie, indem sie mit dem Hinger nach einer
Lcke wies.

Ich mußte laut auflachen. Tie Lituation war
zu komisch.

„psui, Lie lachen noch, Herr Alinter, während
ich solche Angst ausstehe!"

„Verzeihung, aber —"

Ich mußte immer mehr lachen.

„Lie sind recht herzlos, Herr Winter!"

„Aa, dann wollen wir ihn doch wieder einfangen!"
sagte ich, gewaltsam das Lachen unterdrückend. „Wo
sitzt er denn? Ach hier!"

8anz in der Lcke einer Creppenstuse lag der
Lünder, ein langer, dicker Aal. 2ch packte herzhast
zu, ließ aber schnell wieder los. 2ch hatte noch nie
einen Aal in der Hand gehabt, der schlüpserige, sich
windende Rörper sühlte sich zu ekelhast an.

„Hat er Tie gebissen?" sragte die Aleine ängstlich.

„Äein, noch nicht!" erwiderte ich lachend. „Wir
wollen ihn doch 'mal beide packen!"

„Ach, ich sürchte mich!"

„Aber der thut ja nichts!" beruhigte ich sie.
„Mollen Tie mir das Aetz 'mal erlauben!"

Lie gab mir das Aetz. 2ch knotete die zer-
rissenen Atrippen wieder zusammen und reichte ihr
es dann zurück.

„2o, wollen Lie, bitte, das Aetz halten, ich werde
2hnen den Aal nun zujagen."

Aie hielt das Netz zitternd dem Aal entgegen.
2ch nahm, da ich mich vor dem ekelhasten Vieh selbst
sürchtete, meinen Ltock und versuchte nun, den Aal
in das Aetz zu schieben. Aber alle meine Bemühungen
waren erfolglos, der Aal leistete verzweiselten Alider-
stand. 2ch warf schließlich meinen Atock sort und
packte den Aal mit beiden Händen am Aops.

„Ach, wenn wir ihn doch nur erst im Aetz hätten!"
jammerte die junge Tame.

„2etzt werden wir ihn gleich haben!" rief ich,
indem ich den Aal mit dem Aops in's Netz stopfte.
„Lo — jetzt —"

TerÄal machte plötzlich eine krampfhafte Allndung
und entglitt dadurch meinen Händen.

„Huh!" schrie die Aleine, welcher der Aal durch
die Küße kroch, und sprang zur 2eite.

2ch griff nach dem Aal, welcher ganz dicht am
Treppengeländer kaucrte und jeden Augenblick herunter-
sallen konnte. Aber noch ehe ich ihn sassen konnte,
war das Achreckliche geschehen. Er schnellte plötzlich
hoch und schlüpfte durch das Teländer. „Plumps!
plumps!" hörten wir ihn mehrmals unten aufschlagen,
dann war alles still.

„Ach Tott, jetzt ist er gewiß tot!" ries die junge
Tarne und fing wieder an zu weinen.

„Hm! Tas Senick wird er sich wohl ein paarmal
gebrochen haben!" rief ich. „Aber davon stirbt
ein Aal noch nicht! — Aommen Bie, wir wollen
ihn suchen!"

Mr liefen die Lreppe herunter.

„Ach, wie wird er jetzt aussehen?!" jammerte
die Aleine. „Nama wird ein schönes Tesicht machen!"

A)ir suchten unten die Lreppen ab, aber so sehr
wir uns auch anstrengten — der „Abgestürzte" war
nirgends zu entdecken.

Neine unglückliche Sreundin lehnte sich gegen
das Treppengeländer und vergrub ihr Tesichtchen in
die Hände.

„Aönnen Lie nicht schnell einen neuen Aal holen?"
sragte ich, jetzt auch ernst werdend.

„Ach, ich habe ja kein Teld mehr!"

„2ch werde es 2hnen geben."

„Ach, wirklich — ach, Herr Alinter, wenn Bie —"

2ch langte mein Portemonnaie heraus und gab
ihr ein großes Hünsmarkstück.

„Hier haben Lie sünf Nark!" rief ich. „Aun
holen Aie schnell einen andern Aal!"

„Ach, ich kann 2hnen das Seld aber erst nach
vier Alochen zurückgeben, meine 'Lparbüchse ist
leer!"

„Aber das ist ja Aebensache!" ries ich.

„Tann will ich schnell gehen — Papa ist zu
Hause — ich werde Lie wohl noch treffen, wenn ich
wicderkomme!" rief sie hastig durcheinander und lies
fort. —

2ch wurde wie immer bei Rottmann's sehr
freundlich empfangen. „Unsere Rleine", sagte Srau
Rottmann im Lause der Anterhaltung, „habe ich
heute zum erstenmal zum Markt geschickt, sie bleibt
recht lange!"

„Sie wird wohl überall recht lange handeln!"
erwiderte ich.

„Vielleicht hat sie auch das Eeld verloren —
oder der Aal ist ihr sortgelaufen!" warf Herr Rott-
mann lachend ein.

Traußen wurde hestig die Rlingel gezogen.

Hrau Rottmann ging hinaus und erschien nach
ungefähr füns Minuten mit meiner kleinen Hreundin,
welche mir vergnügt zublinzelte, wieder im ^Zimmer.

„llnsere Nize hat sehr gut eingekauft!" rief
Frau Rottmann, während ich die junge Vame be-
grüßte und mich nach ihrem Befinden erkundigte. —

Als ich mich nach einiger Zeit empfahl, begleitete
mich meine Kreundin bis zur Chüre und drückte mir
draußen die Hand.

„Kür immer 2hre Zchuldnerin!" sagte sie mit
einem dankbaren Blick und schloß schnell die Thüre.
 
Annotationen