Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mehlis, Georg
Schellings Geschichtsphilosophie in den Jahren 1799 - 1804: gewürdigt vom Standpunkt der modernen geschichtsphilosophischen Problembildung — Heidelberg, 1906

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73237#0112
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 104 —

konnte und unwiederbringlich verloren sei1). Und nach
Schellings Lehre gehören sie auch eng zusammen, insofern
sie beide das Ueberwiegen der Natur, des realen Prinzips
zum Ausdruck bringen. Die beiden Geschlechter, die nach-
einander die Erde bewohnt haben, verhalten sich zu einander
wie das Reale zum Idealen, wie Natur und Freiheit. Dieser
Gegensatz wiederholt sich innerhalb des zweiten Geschlechtes,
in dem das grichische Prinzip die reale Einheit, das orien-
talische die ideale Einheit darstellt. Der Uebergang vom
Realen zum Idealen ist in beiden Fällen ein Abbruch, ein
Siindenfall. Innerhalb des Griechischen überragt das Prinzip
der Natur, innerhalb des Orientalischen das Prinzip der
Freiheit. Beide bilden zwei getrennte Ströme menschlicher
Bildung. Griechentum und Christentum, Antike und Romantik
sind die beiden Gebilde, in denen die entgegengesetzten
Prinzipien sich zu einer Totalität vereinen, zu der über-
wiegend realen und der überwiegend idealen Totalität 2).
Das Einteilungsprinzip zur Gliederung des historischen
Ganzen ergibt sich aus dem Gegensatz des Unbewussten und
Bewussten, deren höhere Synthese das Prinzip der Identität,
der ästhetische Wertmasstab Schellings, darstellt. In den
drei Schriften Schellings, die diese Gliederung vollziehen,
machen sich gewisse Widersprüche bemerkbar, auf die Fester
zuerst hingewiesen hat3). Der Gegensatz zwischen Bewuss-
tem und Unbewusstem ist es recht eigentlich, welcher das
Wesen der Geschichte ausmacht. Würde er jemals aufge-
hoben, so wäre es auch um die Erscheinung der Freiheit
geschehen, die einzig auf ihm beruht. Wir können uns daher
keine Zeit denken, in welcher der Plan der Vorsehung voll-
ständig erfüllt wäre4). Als die beiden Gegensätze, die mit
Notwendigkeit und Freiheit gleichbedeutend sind, werden
von Schelling im System des transzendentalen Idealismus
Schicksal und Vorsehung genannt. Für die erste Mensch-
heitsepoche ist das Griechentum die typische Erscheinung.
Hier herrscht das Schicksal als zerstörende Macht und führt
zum Untergang der Wunder der alten Welt und zum Unter-
gang der edelsten Menschheit, die je geblüht hat und deren
Wiederkehr auf Erden nur ein ewiger Wunsch ist. Zwischen
dieser ersten Epoche und der Periode der Freiheit oder Vor-
sehung schiebt sich eine Epoche ein, die von Schelling im
Gegensatz zu der blinden Naturnotwendigkeit als eine
mechanische Naturgesetzmässigkeit charakterisiert wird. Diese
Epoche fortschreitender Legalität beginnt mit der Ausbrei-

1) a. a. 0. Bd. V, S. 119.

2) a. a. 0. S. 420—24.

3) Rich. Fester, Rousseau u. die deutsche Geschichtsphilosophie, S. 175.

4) Schelling Werke I, Bd. III, S. 602 und 603.
 
Annotationen