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und Sittlichkeit lassen sich die Ideen herab in die Zeitlich-
keit1). Dieses Hineinbrechen der Werte in die Zeitlichkeit
ist das eigentlich wertvolle Geschehen, das dem Prozess
der Weltgeschichte zugrunde liegt. Bis zum Punkte der
Ichheit reicht die zentrifugale Bewegung, die Geschichte
der Natur, welche Schelling als die Ilias des Geistes be-
zeichnet, die Entfremdung von Gott, der Siindenfall. Indem
dann die Werte die Zeitlichkeit durchdringen, wird die zentri-
fugale Bewegung in eine zentripetale übergeleitet. Der Sinn
dieser rückläufigen, auf das Zentrum gerichteten Bewegung
ist die Welterlösung, ist die Versöhnung des von Gott ab-
gefallenen Endlichen durch seine eigene Geburt in die End-
lichkeit. Diese Idee ist der Grundgedanke des Christentums:
„Christus schliesst die Welt der Endlichkeit und eröffnet die
Unendlichkeit als die Herrschaft des Geistes"2). Die christ-
liche Weltanschauung erkennt den Sinn des historischen Ge-
samtgeschehens, sie fasst die Menschheit als Einheit zusammen,
an der sich das wahrhaft göttliche Geschehen offenbart. Die
Geschichte des Christentums ist daher auch notwendig Uni-
versalgeschichte d. h. Menschheitsgeschichte3). Mit Christus
kam das wahre Unendliche in das Endliche, nicht um dieses
zu vergöttern, sondern nur um es in seiner ewigen Person
Gott zu opfern und dadurch zu versöhnen. Diese Periode
der Versöhnung ist die Odyssee des göttlichen Weltgedichtes.
Die Gestalt des historischen Christus gilt Schelling symbolisch
für die ewige Menschwerdung des Göttlichen im Endlichen 4).
Das Ende des zeitlichen Geschehens, der ganzen Zeitwirk-
lichkeit wird gekommen sein, wenn die Vernunftideen die
empirische Wirklichkeit durchdrungen, geläutert und zu Gott
zurückgeführt haben. Erst mit der Vernunftbetätigung der
menschlichen Gattung, welche auf eine direkte Einwirkung
der Ideenwelt zurückgeführt werden muss, beginnt das wert-
volle Geschehen. Der Abfall ist ein Faktum, er hat sich real
vollzogen, aber ein Nichtseiendes ein Minus hervorgebracht.
Dieses Negative der Scheinwirklichkeit, dieses Setzen von
Leiden, wird durch das Positive der Vernunfttätigkeit wieder
aufgehoben. Die Schwierigkeit dieser Vorstellung liegt darin,
dass die empirische Wirklichkeit im Grunde genommen nur
Schein ist, dass dasjenige, was zu Gott zurückgeführt werden
soll, seinem eigentlichen Kern und Wesen nach ein Nicht-
seiendes ist, das überhaupt nicht existiert. Die Konfundie-
rung formailogischer und mathematischer Verhältnisse mit
Realvorgängen des Wirkens und Handelns, jene alten Irr-
1) a. a. 0. S. 42.
2) a. a. 0. Bd. V, S. 294.
3) a. a. 0. S. 299.
4) a. a. 0. S. 431,
und Sittlichkeit lassen sich die Ideen herab in die Zeitlich-
keit1). Dieses Hineinbrechen der Werte in die Zeitlichkeit
ist das eigentlich wertvolle Geschehen, das dem Prozess
der Weltgeschichte zugrunde liegt. Bis zum Punkte der
Ichheit reicht die zentrifugale Bewegung, die Geschichte
der Natur, welche Schelling als die Ilias des Geistes be-
zeichnet, die Entfremdung von Gott, der Siindenfall. Indem
dann die Werte die Zeitlichkeit durchdringen, wird die zentri-
fugale Bewegung in eine zentripetale übergeleitet. Der Sinn
dieser rückläufigen, auf das Zentrum gerichteten Bewegung
ist die Welterlösung, ist die Versöhnung des von Gott ab-
gefallenen Endlichen durch seine eigene Geburt in die End-
lichkeit. Diese Idee ist der Grundgedanke des Christentums:
„Christus schliesst die Welt der Endlichkeit und eröffnet die
Unendlichkeit als die Herrschaft des Geistes"2). Die christ-
liche Weltanschauung erkennt den Sinn des historischen Ge-
samtgeschehens, sie fasst die Menschheit als Einheit zusammen,
an der sich das wahrhaft göttliche Geschehen offenbart. Die
Geschichte des Christentums ist daher auch notwendig Uni-
versalgeschichte d. h. Menschheitsgeschichte3). Mit Christus
kam das wahre Unendliche in das Endliche, nicht um dieses
zu vergöttern, sondern nur um es in seiner ewigen Person
Gott zu opfern und dadurch zu versöhnen. Diese Periode
der Versöhnung ist die Odyssee des göttlichen Weltgedichtes.
Die Gestalt des historischen Christus gilt Schelling symbolisch
für die ewige Menschwerdung des Göttlichen im Endlichen 4).
Das Ende des zeitlichen Geschehens, der ganzen Zeitwirk-
lichkeit wird gekommen sein, wenn die Vernunftideen die
empirische Wirklichkeit durchdrungen, geläutert und zu Gott
zurückgeführt haben. Erst mit der Vernunftbetätigung der
menschlichen Gattung, welche auf eine direkte Einwirkung
der Ideenwelt zurückgeführt werden muss, beginnt das wert-
volle Geschehen. Der Abfall ist ein Faktum, er hat sich real
vollzogen, aber ein Nichtseiendes ein Minus hervorgebracht.
Dieses Negative der Scheinwirklichkeit, dieses Setzen von
Leiden, wird durch das Positive der Vernunfttätigkeit wieder
aufgehoben. Die Schwierigkeit dieser Vorstellung liegt darin,
dass die empirische Wirklichkeit im Grunde genommen nur
Schein ist, dass dasjenige, was zu Gott zurückgeführt werden
soll, seinem eigentlichen Kern und Wesen nach ein Nicht-
seiendes ist, das überhaupt nicht existiert. Die Konfundie-
rung formailogischer und mathematischer Verhältnisse mit
Realvorgängen des Wirkens und Handelns, jene alten Irr-
1) a. a. 0. S. 42.
2) a. a. 0. Bd. V, S. 294.
3) a. a. 0. S. 299.
4) a. a. 0. S. 431,