Ingres zu entdecken. Es scheiterte, weil man mit Hauchen nicht
bauen kann, weil Cezanne keine Kompromisse schließen konnte und
wollte, und, vielleicht ist das der entscheidende Grund, weil er als
Franzose und in unserer Zeit geboren wurde.
Selten wie alles an ihm sind die Bruchstücke, die der Versuch
einer kunstgeschichtlichen Analyse seiner Malerei zutage fördert.
Er weist uns auf die am wenigsten bekannten Meister, auf einen
zumal, der in aller Mund ist, ohne daß es bisher gelang, seine
chamäleonartige Persönlichkeit klar darzustellen, Tintoretto.
Eine sehr entfernte Verwandtschaft, wohlverstanden, von der sich
Cezanne kaum je Rechenschaft ablegte und die der Zufall gegeben
haben mag. Soweit man die unübersehbare Differenz der Zeiten
abstrahieren kann, muß der Italiener eine ähnliche Natur gewesen
sein wie unser Zeitgenosse. Seine Stellung unter den Venezianern
gleicht der Cezannes unter den Impressionisten, zumal Cezannes
Verhältnis zu Manet scheint die eigentümliche aus gleichen und ganz
entgegengesetzten Momenten zusammengesetzte Beziehung Tinto-
rettos zu seinem Lehrer zu wiederholen. Nicht ohne sehr ein-
gehende Kontrolle nahm Tintoretto die Schulregeln Tizians an,
und was er mit ihm und anderen gemein hat, kommt neben dem
ihm allein gehörenden Wesen kaum in Betracht. Auch er ent-
wickelte mit erstaunlicher Geschwindigkeit das Überlieferte und
differenzierte das Gemeingut. Man mag bei ihm die gelassene
Würde, die Giorgione seinem Kreise gab, vermissen, aber wenn
es gilt, den kühnsten Erfinder, den modernsten der Venezianer
zu nennen, der am deutlichsten in die Zukunft weist, kann die
Wahl nicht zweifelhaft sein. Bei den freisten seiner Kompositionen
ahnt man, daß eine andere Zeit einen Cezanne entstehen lassen
konnte. Ich meine zumal die Bilder, in denen Tintoretto den
Grund einer von allem Konventionalismus freien und selbst vom
großen Raum unabhängigen Dekoration legte, z. B. das Paradies,
zumal in der Skizze des Louvre, oder das Martyrium des hl. Markus
in Brüssel, oder die Holofernes-Legenden im Prado, oder die
Idyllen mit den Reigen der Musen, wo die nackten Körper keinem
anderen Zwecke dienen, als das Licht auf bewegtem Fleisch zu
zeigen, oder seine Susannenbilder, z. B. das im Wiener Hof-
museum, wo das unbändige Temperament des Malers alle Rück-
sichten auf den Gegenstand zugunsten einer größeren Materie
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bauen kann, weil Cezanne keine Kompromisse schließen konnte und
wollte, und, vielleicht ist das der entscheidende Grund, weil er als
Franzose und in unserer Zeit geboren wurde.
Selten wie alles an ihm sind die Bruchstücke, die der Versuch
einer kunstgeschichtlichen Analyse seiner Malerei zutage fördert.
Er weist uns auf die am wenigsten bekannten Meister, auf einen
zumal, der in aller Mund ist, ohne daß es bisher gelang, seine
chamäleonartige Persönlichkeit klar darzustellen, Tintoretto.
Eine sehr entfernte Verwandtschaft, wohlverstanden, von der sich
Cezanne kaum je Rechenschaft ablegte und die der Zufall gegeben
haben mag. Soweit man die unübersehbare Differenz der Zeiten
abstrahieren kann, muß der Italiener eine ähnliche Natur gewesen
sein wie unser Zeitgenosse. Seine Stellung unter den Venezianern
gleicht der Cezannes unter den Impressionisten, zumal Cezannes
Verhältnis zu Manet scheint die eigentümliche aus gleichen und ganz
entgegengesetzten Momenten zusammengesetzte Beziehung Tinto-
rettos zu seinem Lehrer zu wiederholen. Nicht ohne sehr ein-
gehende Kontrolle nahm Tintoretto die Schulregeln Tizians an,
und was er mit ihm und anderen gemein hat, kommt neben dem
ihm allein gehörenden Wesen kaum in Betracht. Auch er ent-
wickelte mit erstaunlicher Geschwindigkeit das Überlieferte und
differenzierte das Gemeingut. Man mag bei ihm die gelassene
Würde, die Giorgione seinem Kreise gab, vermissen, aber wenn
es gilt, den kühnsten Erfinder, den modernsten der Venezianer
zu nennen, der am deutlichsten in die Zukunft weist, kann die
Wahl nicht zweifelhaft sein. Bei den freisten seiner Kompositionen
ahnt man, daß eine andere Zeit einen Cezanne entstehen lassen
konnte. Ich meine zumal die Bilder, in denen Tintoretto den
Grund einer von allem Konventionalismus freien und selbst vom
großen Raum unabhängigen Dekoration legte, z. B. das Paradies,
zumal in der Skizze des Louvre, oder das Martyrium des hl. Markus
in Brüssel, oder die Holofernes-Legenden im Prado, oder die
Idyllen mit den Reigen der Musen, wo die nackten Körper keinem
anderen Zwecke dienen, als das Licht auf bewegtem Fleisch zu
zeigen, oder seine Susannenbilder, z. B. das im Wiener Hof-
museum, wo das unbändige Temperament des Malers alle Rück-
sichten auf den Gegenstand zugunsten einer größeren Materie
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