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Meier-Graefe, Julius
Paul Cézanne: mit 54 Abb — Muenchen, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.29658#0042
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Ornat des hl. Stephan gewirkt ist, glaubt man Cezanne zu finden.
Cezanne hat vielleicht nichts weiter getan, als die Details, deren
seine Gegenstände nicht bedurften, durch eine gesteigerte Finesse
der Abtönung zu ersetzen und die maßgebenden Kontraste noch
harmonischer zu wählen. Wir fühlen dieselbe Wallung, weil die
Art der Abstraktionen auf das gleiche Prinzip zurückgeht: das
Bild aus Kontrasten und Tonwerten ohne Grenzlinien entstehen
zu lassen. Tintoretto hatte die Möglichkeit solcher Darstellung
geahnt und hätte sie realisiert, wenn er nicht Venezianer gewesen
wäre, nach außen gerichtet, wie alle seine Freunde. Schon er
begann für einen ihm vorschwebenden Rhythmus nach Farben zu
suchen, anstatt vom Vorgang auszugehen, d. h. machte sich zum
Zentrum, nicht den Auftrag seiner Gönner. Aber er gelangte
unbewußt dazu, aus überquellendem Reichtum. Zur Ausgestaltung
des Prinzips gehörte die persönlichere Anteilnahme eines Fremden,
der in den Glanz der Märchenstadt mit den Augen des Fern-
stehenden geschaut hatte und dem die Berührung eines von den
Venezianern durchaus geschiedenen Temperamentes mit dieser seiner
Heimat ganz entlegenen Lust zum Schicksal wurde. Die Un-
möglichkeit, in dem finsteren Spanien Philipps II. den Extrakt
eines Tintoretto zu verallgemeinern, trieb Greco zu jener gewalt-
samen Verinnerlichung der Kunst, aus der in unseren Zeiten allein
das Heil hervorgeht. Seine Beziehungen zu dem Hof des Königs
scheiterten bald an seiner „Verrücktheit“, die Gegner des Königs
hätten ihn unterstützt, auch wenn er ihnen den schlimmsten Trödel
geliefert hätte, und so hinderte ihn nichts, sein Ideal mit der
ganzen Größe der Einseitigkeit zu vollenden. Es ist das typische
Schicksal des modernen Künstlers, der mit der Außenwelt nur
noch durch Zufallsverbindungen materieller Art zusammenhängt;
in einer Zeit, die noch nicht wie die unsere an die Feindschaft
zwischen Kunst und Leben gewöhnt war, das typische Schicksal
eines Mystikers. All den in Venedig gesehenen Glanz in eine
weltferne Verklärung zu zaubern, war Grecos Absicht. Er fand
für überirdische Dinge die einzig mögliche moderne Form. Nie
wurde seit den Mosaikisten die „Krönung Mariä“ wahrscheinlicher
gemacht, als in dem Bild der Sammlung Bosch, weil sich der
Maler nicht an die denkbaren Wahrscheinlichkeiten hielt, sondern
sich in die höheren Gefilde künstlerischer Spekulationen zurückzog,

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