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Meier-Graefe, Julius
Paul Cézanne: mit 54 Abb — Muenchen, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.29658#0058
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Delacroix: „II vous semble qu’une atmosphere magique a marche
vers vous et vous enveloppe.“ Das paßt auch auf den Romantiker
unter den Impressionisten. Delacroix summierte sein Sehen, er-
fand Extrakte von Dingen, die er früher erlebt hatte, war un-
abhängig von der Nähe der Realität, obwohl er mit Leidenschaft
nach der Natur malte, und konnte mit dem Gesehenen im
Dienste höherer Realitäten verfahren. So hoch man die Erfindung
des Mittels, die sich unmittelbar an der Natur entzündet, schätzen
mag, sie erreicht nicht das Dämonische einer Delacroixschen
Schöpfung. Beide Wege führen ganz zweifellos auf die Höhen
der Kunst, und sie berühren sich oft; es wird schwer, sie ge-
trennt zu verfolgen. Sicherer erscheint der eine, auf dem Manet
wandelte. Aber er bleibt nur so lange fern von den Abgründen
des anderen, als er niedere Sphären durchzieht. Auch er führt
zu dem entlegenen Punkt, von dem der Wanderer springen muß,
um ins Jenseits zu gelangen. Auf den Sprung kommt es an.
Wir schätzen den Fleiß, die Energie, die Intelligenz der Pfad-
finder. Aber unser Interesse bleibt in niederen Sphären. Dem
Springer allein, den Wanderern im Jenseits opfern wir unsere
Vorurteile, unsere Ansprüche und die letzte Kraft unseres Enthu-
siasmus. Was ist uns die Natur, wenn wir sie nicht im Werke
überwunden sehen! Unüberwunden einigt sich unsere Skepsis
mit ihr. Wir müssen sie vergessen können, um sie nicht ent-
behren zu müssen. Mit dem Künstler aber scheint es umgekehrt
zu stehen. Cezanne hat von Delacroix die Unendlichkeit des
Ziels übernommen und ahnte nicht, was er nahm. Natur,
Natur! rief es in ihm, während er schon längst in der Nähe
Delacroix’ schwärmte. Vielleicht haben ihn nur die Farben des
Romantikers gereizt. Er stellte die Farbenempfindlichkeit Delacroix’
über die Treffsicherheit Manets und verwechselte dabei Empfinden
und Erfindung. Was ist uns Delacroix’ Palette? ein endlicher
Begriff für das Unermeßliche. Tiefer rührt uns die riesige Ent-
fernung vom Realen und der Realität in diesem Jenseits, die
Schöpfung eines Daseins in einem frei erfundenen Raum, der zur
Heimat hoher Geister wird, auch zu der unseren, wenn wir uns
erheben können. Das verbindet Cezanne mit Greco so gut, wie
mit dem Meister der Dantebarke. Auch Delacroix gehört in ,die
Reihe und kürzt den Weg zwischen den beiden anderen. Sein

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