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Meier-Graefe, Julius; Gogh, Vincent ¬van¬ [Editor]; Meier-Graefe, Julius [Oth.]
Vincent (Band 1) — München, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.29620#0170
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Vincent

Vincent nickte mit blödem Gesicht. Aha! Wie sonderbar das alles!

Er lief in die Crau hinaus, lief sich müde. Sechs Stunden blieb er fort.
Komisch, daß ihm immer im entscheidenden Augenblick die Worte fehl-
ten. Vielleicht nützten aber bei den Parisern keine Worte. Sie redeten,
wie sie malten, hörten nur nach außen. So ein Gauguin floh zu den Wil-
den, schleppte aber seinen Pariser Boulevard auf dem Rücken mit. Armer
Gauguin! Erst mußte er sich einmal entparisern. Eine Krankheit war es.
Vielleicht konnte das gelbe Haus als Heilmittel dienen, besser als Marti-
nique oder Tahiti. Man mußte es langsam versuchen, nicht mit harten
Worten, überhaupt nicht mit Worten. Gauguin war wohl im Grunde,
ganz im Grunde, obwohl ein großer Künstler, nicht gut. Also mußte er
gut gemacht werden. Das Strahlende, das ihm fehlte, war das Gute, für
das es in seiner Vernunft keinen Platz gab. Auch die Abneigung gegen die
pantinenhafte Farbe war nur ungute Überhebung des Boulevard-Menschen.
Da er aber dem Boulevard in hundert Dingen so überlegen war, ließ sich
vielleicht auch der Rest überwinden, wenn man ihm half. Ja, er wollte
ihm helfen, so, wie man allein helfen konnte; mit rechten Bildern.

Und er malte an dem Tag faustdick seinen Stuhl mit dem buttergelben
Strohsitz auf den superben roten Fliesen. Nichts wie ein Stuhl, durchaus
nicht legendarisch, durchaus nicht artistisch, aber so, daß mit dem Stuhl
das ganze gelbe Haus in den Betrachter eindrang, und dazu Arles, und
dazu die ganze Provence und Holland von Nuenen bis Drenthe.

Als er das kleine Bild Gauguin zeigte in Erwartung des bekannten Ach-
selzuckens, stieß Gauguin einen Fluch aus. Der faustdicke Stuhl gefiel
ihm. Der Stuhl war fast so stark wie die Sonnenblumen, vielleicht sogar
noch stärker, das Gesicht eines Stuhles. Das hatte noch keiner gemalt.
Sonderbarer Kerl! Die Impressionisten konnten sich verkriechen.
Natürlich Übertreibung, genau wie der Einfall, die Sonnenblumen über
Monet zu stellen. Immerhin tat es sehr gut, und Vincent nahm sich vor,

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