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Meier-Graefe, Julius; Gogh, Vincent ¬van¬ [Editor]; Meier-Graefe, Julius [Oth.]
Vincent (Band 1) — München, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.29620#0177
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war am liebsten bei der Arbeit allein. Dies der große Unterschied zwischen
beiden: der eine wollte zu Bildern, weil seine Skepsis die Untiefen der
Menschen durchschaute; der andere machte Bilder als notdürftigen Eratz
für Menschen. Eine Verbindung zwischen ihnen war nur bei einem Nach-
geben der Skepsis möglich. Es war Vincents geheime Hoffnung, diesen
großen, diesen außerordentlichen Künstler zu den Menschen zu bekehren.
Wenn etwas seinen Werken fehlte, war es die Teilnahme des Menschen.
Man kam nicht sofort dahinter und nahm Folgen für Anlaß. Freundes-
pflicht gebot, nach dieser Einsicht zu handeln. Je mehr er sah, desto größer
wurde sein Wunsch, dem Freunde die Stelle zu zeigen, wo der Mensch
vielleicht nur aus Geschmack, aus einem Zögern pariserischer Feinfühlig-
keit versagte. Manchmal waren es nicht nur einzelne Stellen; zum Bei-
spiel in dem Bildnis. Da er selbst jedes Urteil dankbar annahm, sogar die
Meinung Roulins, des Postmanns, denn jeder konnte helfen; da er seiner-
seits jedes Wort Gauguins wie ein Geschenk nahm, setzte er gleiche
Empfänglichkeit auch bei Gauguin voraus. Der aber wurde nicht klug
aus der ungereimten Kritik und verlor, wenn Vincent zu ausführlich
wurde, die Laune. Es war auch wirklich schwierig, nicht ungeduldig zu
werden, da Vincent an jeder Erkenntnis zähe festhielt. So begriff er nicht,
wie man ein Bildnis so flach halten konnte. Eben das war Gauguins Mittel.
Flach wollte heißen flächig. Gauguin liebte nicht das Kleistern mit der
Farbe. Gut; das war und blieb Gauguins Privatsache. Aber ob man klei-
sterte oder nicht, wenigstens mußte doch, dick oder dünn, die Beziehung
des Malers zum Objekt sichtbar und Ausdruck werden, dick oder dünn.
Gauguin fand es bedenklich, einem Menschen, der Meissonier schätzte,
Verständnis für synthetische Schöpfungen zuzutrauen.— Dies war wieder
ein Fremdwort. Aber waren nicht alle Bilder synthetisch, wenn sie über-
haupt etwas waren? War das Bildnis der Arlesienne vielleicht nicht syn-
thetisch? — Gauguin lächelte. Doch, das konnte man wohl zugeben; die

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