VOM „BEGRÄBNIS VON ORNANS“ ZUM „ATELIER“
Das „Begräbnis von Omans“ ift nicht das umfangreichfte Gemälde; das „Hallali“ in Befanden und
der „Combat de cerfs“ find größer; das „Atelier“ mit dreieinhalb zu fechs Metern dürfte das größte
fein. DiefeWerke ftehen nicht allein. Es gibt Dutzende von Riefenformaten, wenn fie auch nicht
an die genannten vier heranreichen. Die verhältnismäßig große Fläche war dem Meiller natürlich.
DiefeVorliebe unterscheidet Courbet von feinen Zeitgenoflen feit Delacroix und wäre allein fchon
geeignet gewefen, den Gegnern feines Realismus zu denken zu geben. Übrigens ift fie mit ein
Grund feinerUnpopularität. Der franzöfifche Amateur will das Bild in die Hand nehmen können,
und die Geftelle der Händler in den Kunftläden find für befcheidene Größen berechnet. Je mehr
man draußen vor der Natur malt, defto mehr gewöhnt fich der Künftler an bequemes Handwerks-
zeug. Bei den Engländern und zumal den Deutfchen ift es anders. Constable dort, hier Leibi und
Liebermann wurden der kleinen Rahmen wegen von Laien gering gefchätzt. Zu dem richtigen
englifchen Academy-Schlager gehört ein zärtliches, aber bekleidetes Paar, zu dem richtigen deut-
fchen Ausftellungserfolg ein nacktes: Adam und Eva. Beide Paare ergehen fich mit Vorliebe in
großen Dimenfionen, aber bleiben immer nur kleine Faits divers.Wer mit lebensgroßen Figuren
Wirtschaften, weite Flächen beleben will, muß Stil im Leibe haben, fonft laufen die gemalten Ge-
ftalten in die Stube hinein. Und wer Stil hat, muß Natur haben, will fagen Erlebnis, fonft macht
erTapeten. Das „Begräbnis von Omans“ ift die Löfung eines Monumental-Problems erfter Ord-
nung. Aus der langen Reihe von Menfchen löft fich ein gemeinfamer, großer Zug, der die hundert
Gelichter diefer Menfchheit, fall könnte man fagen ihre hundert Schickfale, fymphonifch zufammen-
faßt. Das Monument entfteht nicht aus einem vorgefaßten Stil wie fo viele Dekorationen des
Quattrocento und der Gegenwart, fondern aus Not und Zwang der Begebenheit, aus der Fülle
der Natur, die, um Platz, Raum, Licht in dem Bilde zu haben, gebändigt werden muß. EineWand
von Menfchen ift natürlich ein ebenfo günftiges Motiv wie die Felfenmauer von Omans, günftig
für die Größenwirkung der Horizontale, keineswegs günftig für die Darftellung des Lebens.
Courbets Kunftftück ift, dieWand nicht in ein fteinernes Ornament, das irgendwie an komifche
Menfchen erinnert, zu verwandeln, fondern Menfchen hinzuftellen,höchft lebendige Organismen.
Das Zufammenfaffende wird aus den Mitteln der Darftellung gewonnen, die derErfcheinung des
Einzelnen dienen. Die Vitalität desWerkes und fein monumentaler Stil find ein und dasfelbe.
Darauf kommt alles an. Stil ift geprägtes Metall. Der eine hat die ganzeTafche voll großer, dicker
Kupfermünzen, das Gewicht ift beträchtlich, dieTafche bläht fich. Der andere trägt diefelbe An-
zahl Stücke in Gold und fchreitet leicht mit dem taufendmal reicheren Schatz.Wir leben in der
Kunft im Zeichen der Kupferwährung.Viel Scheidemünze, kleine Beträge. Die paar Goldftücke
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Das „Begräbnis von Omans“ ift nicht das umfangreichfte Gemälde; das „Hallali“ in Befanden und
der „Combat de cerfs“ find größer; das „Atelier“ mit dreieinhalb zu fechs Metern dürfte das größte
fein. DiefeWerke ftehen nicht allein. Es gibt Dutzende von Riefenformaten, wenn fie auch nicht
an die genannten vier heranreichen. Die verhältnismäßig große Fläche war dem Meiller natürlich.
DiefeVorliebe unterscheidet Courbet von feinen Zeitgenoflen feit Delacroix und wäre allein fchon
geeignet gewefen, den Gegnern feines Realismus zu denken zu geben. Übrigens ift fie mit ein
Grund feinerUnpopularität. Der franzöfifche Amateur will das Bild in die Hand nehmen können,
und die Geftelle der Händler in den Kunftläden find für befcheidene Größen berechnet. Je mehr
man draußen vor der Natur malt, defto mehr gewöhnt fich der Künftler an bequemes Handwerks-
zeug. Bei den Engländern und zumal den Deutfchen ift es anders. Constable dort, hier Leibi und
Liebermann wurden der kleinen Rahmen wegen von Laien gering gefchätzt. Zu dem richtigen
englifchen Academy-Schlager gehört ein zärtliches, aber bekleidetes Paar, zu dem richtigen deut-
fchen Ausftellungserfolg ein nacktes: Adam und Eva. Beide Paare ergehen fich mit Vorliebe in
großen Dimenfionen, aber bleiben immer nur kleine Faits divers.Wer mit lebensgroßen Figuren
Wirtschaften, weite Flächen beleben will, muß Stil im Leibe haben, fonft laufen die gemalten Ge-
ftalten in die Stube hinein. Und wer Stil hat, muß Natur haben, will fagen Erlebnis, fonft macht
erTapeten. Das „Begräbnis von Omans“ ift die Löfung eines Monumental-Problems erfter Ord-
nung. Aus der langen Reihe von Menfchen löft fich ein gemeinfamer, großer Zug, der die hundert
Gelichter diefer Menfchheit, fall könnte man fagen ihre hundert Schickfale, fymphonifch zufammen-
faßt. Das Monument entfteht nicht aus einem vorgefaßten Stil wie fo viele Dekorationen des
Quattrocento und der Gegenwart, fondern aus Not und Zwang der Begebenheit, aus der Fülle
der Natur, die, um Platz, Raum, Licht in dem Bilde zu haben, gebändigt werden muß. EineWand
von Menfchen ift natürlich ein ebenfo günftiges Motiv wie die Felfenmauer von Omans, günftig
für die Größenwirkung der Horizontale, keineswegs günftig für die Darftellung des Lebens.
Courbets Kunftftück ift, dieWand nicht in ein fteinernes Ornament, das irgendwie an komifche
Menfchen erinnert, zu verwandeln, fondern Menfchen hinzuftellen,höchft lebendige Organismen.
Das Zufammenfaffende wird aus den Mitteln der Darftellung gewonnen, die derErfcheinung des
Einzelnen dienen. Die Vitalität desWerkes und fein monumentaler Stil find ein und dasfelbe.
Darauf kommt alles an. Stil ift geprägtes Metall. Der eine hat die ganzeTafche voll großer, dicker
Kupfermünzen, das Gewicht ift beträchtlich, dieTafche bläht fich. Der andere trägt diefelbe An-
zahl Stücke in Gold und fchreitet leicht mit dem taufendmal reicheren Schatz.Wir leben in der
Kunft im Zeichen der Kupferwährung.Viel Scheidemünze, kleine Beträge. Die paar Goldftücke
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