Sinn mit jedem Schritte mehr: es tritt ein ganz allgemeiner rein geiftiger Genuß hinzu, dieEinficht
in den wachfenden Organismus des Menfchen, der fein Leben vorbildlich erfüllt. Man wird ernfter,
wie die Bilder ernfter werden, nicht weil in den letzten weniger gelacht wird, fondern weil das
Gebotene konzentriertere Teilnahme fordert. Wir merken, wie der Zweck zunimmt und wie das
Mittel lieh umbildet, um Schritt zu halten. Das ift bei Courbet auch nicht anders, nur liegt der Höhe-
punkt nicht genau über der Balis der Früh werke, und das Wachstum verbirgt fich unter allerlei
Wucherungen. Erfchwerend wirkt das hohe Niveau des Anfangs. Andere Künftler kommen mit
Talent zurWelt. Courbet fcheint mit Meifterfchaft geboren. Er ift wie ein wandelnder Behälter
fchönfter Dinge. Die Steigerung ift deutlich, aber fie vermag nicht alleVerlufte auszugleichen.
Courbet gleicht einem gehetzten Menfchen, der vollbepackt zum Ziele rennt und oft genötigt wird,
fich zu bücken, um verlorene Dinge wieder aufzulefen. Dadurch geht viel Kraft verloren, und das
Bild des Gehetzten ift unfehön. Ein Rembrandt, der auch zuletzt noch, im Befitz des gewaltigen
Ausdrucks feiner Selbftbildnifle, die Genrebilder der Jugend überholen möchte.
Mit dem Jahre 1870 überfchreitet Courbet den Gipfel feiner Kunft und fteigt fchnell zuTal. Man
kann gerechterweife kaum mit den Jahren nach 71 rechnen. Ein äußerer Eingriff verftümmelte den
Künftler. Er verfuchte in der Kommune eine Rolle zu fpielen und litt dabei Schiffbruch.Welcher
Art fein Unrecht war, ob er verdienterweife verurteilt wurde, ob die Freunde im Recht find, die
ihn von jeder Schuld an der Zerftörung der Vendöme-Säule rein zu wafchen fuchten, intereffiert
uns heute nicht mehr. Seine Teilnahme an der Politik war eine der vielen Disharmonien feines
Lebens, und wie alle anderen rührte fie von Überfchuß an Kraft her. Er hielt die Politik für einen
Bierulk und fand Leute, die den Politiker ernft nahmen, anftatt den Künftler laufen zu laflen.Man
verurteilte ihn zur Zahlung derKoften für die Aufrichtung der Säule und zwang ihn zu kritiklofer
Überproduktion, um mit den drückenden Schulden fertig zu werden.
Immerhin haben die fpäteren Jahre um 1870 noch manche Perle gebracht, außer Porträts viele Still-
leben; in denen feierte feineFreude an derMaterie den letztenSieg.Einfehrfchönes,hellesSelbft-
porträt, 1871 im Gefängnis von S.Pelagie gemalt, heute im Mesdag-Mufeum, als Pendant des
feltfamen Selbftporträts Delacroix’, zeigt die Kombination einer wuchtigen Strichmalerei mit der
früherenTonkunft (inHaar und Bart); eine Kombination, wie fie nur demTaufendkünftler gelingen
konnte. Die Stilleben derfelben Zeit find Rätfel der Schönheit. Nichts ift merkwürdiger, als daß
Courbet noch in diefer Zeit, nach den Grottenbildern und Marinen feine Früchte wie ein Schüler
der Alten malt; freilich ein höchft eigenwilliger Schüler. In derfelben Haager Galerie findet man
ein Bild mit Äpfeln, gleichfalls im Gefängnis entftanden. Die Früchte glühen wie die Geflehter auf
dem „Enterrement“, nur viel zarter und reiner, mit ganz dünnemPinfel gerundet. In dem herrlich
geglätteten tiefroten Material fpiegeln fich weißliche Lichter. DieÄpfel liegen vereint mit einer
Ente und einer blauenDelfterVafe in einer—Landfchaft.Ein ftattlicher braunerBaum belebt den
weiten Plan,und dahinter dehnt fich weißgrauer Himmel. Noch frappierender ift das Arrangement
in dem ähnlichen, aber nicht ganz fo gelungenen Stilleben des Amfterdamer Ryksmufeums. Die
Äpfel wieder in dem Rot, nur einer flicht in Gelb heraus. Die Landfchaft ift hier noch mehr als im
Haag fo behandelt, als wären dieÄpfel große handelnde Perfonen. Der Baum hinter ihnen müßte
von Rechts wegen viermal fo groß und die rötliche Landfchaft um ebenfoviel umfangreicher fein.
Und felbft diefer grobe Schnitzer in der Perfpektive,offenbar die Folge der ungewohnten Malerei
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in den wachfenden Organismus des Menfchen, der fein Leben vorbildlich erfüllt. Man wird ernfter,
wie die Bilder ernfter werden, nicht weil in den letzten weniger gelacht wird, fondern weil das
Gebotene konzentriertere Teilnahme fordert. Wir merken, wie der Zweck zunimmt und wie das
Mittel lieh umbildet, um Schritt zu halten. Das ift bei Courbet auch nicht anders, nur liegt der Höhe-
punkt nicht genau über der Balis der Früh werke, und das Wachstum verbirgt fich unter allerlei
Wucherungen. Erfchwerend wirkt das hohe Niveau des Anfangs. Andere Künftler kommen mit
Talent zurWelt. Courbet fcheint mit Meifterfchaft geboren. Er ift wie ein wandelnder Behälter
fchönfter Dinge. Die Steigerung ift deutlich, aber fie vermag nicht alleVerlufte auszugleichen.
Courbet gleicht einem gehetzten Menfchen, der vollbepackt zum Ziele rennt und oft genötigt wird,
fich zu bücken, um verlorene Dinge wieder aufzulefen. Dadurch geht viel Kraft verloren, und das
Bild des Gehetzten ift unfehön. Ein Rembrandt, der auch zuletzt noch, im Befitz des gewaltigen
Ausdrucks feiner Selbftbildnifle, die Genrebilder der Jugend überholen möchte.
Mit dem Jahre 1870 überfchreitet Courbet den Gipfel feiner Kunft und fteigt fchnell zuTal. Man
kann gerechterweife kaum mit den Jahren nach 71 rechnen. Ein äußerer Eingriff verftümmelte den
Künftler. Er verfuchte in der Kommune eine Rolle zu fpielen und litt dabei Schiffbruch.Welcher
Art fein Unrecht war, ob er verdienterweife verurteilt wurde, ob die Freunde im Recht find, die
ihn von jeder Schuld an der Zerftörung der Vendöme-Säule rein zu wafchen fuchten, intereffiert
uns heute nicht mehr. Seine Teilnahme an der Politik war eine der vielen Disharmonien feines
Lebens, und wie alle anderen rührte fie von Überfchuß an Kraft her. Er hielt die Politik für einen
Bierulk und fand Leute, die den Politiker ernft nahmen, anftatt den Künftler laufen zu laflen.Man
verurteilte ihn zur Zahlung derKoften für die Aufrichtung der Säule und zwang ihn zu kritiklofer
Überproduktion, um mit den drückenden Schulden fertig zu werden.
Immerhin haben die fpäteren Jahre um 1870 noch manche Perle gebracht, außer Porträts viele Still-
leben; in denen feierte feineFreude an derMaterie den letztenSieg.Einfehrfchönes,hellesSelbft-
porträt, 1871 im Gefängnis von S.Pelagie gemalt, heute im Mesdag-Mufeum, als Pendant des
feltfamen Selbftporträts Delacroix’, zeigt die Kombination einer wuchtigen Strichmalerei mit der
früherenTonkunft (inHaar und Bart); eine Kombination, wie fie nur demTaufendkünftler gelingen
konnte. Die Stilleben derfelben Zeit find Rätfel der Schönheit. Nichts ift merkwürdiger, als daß
Courbet noch in diefer Zeit, nach den Grottenbildern und Marinen feine Früchte wie ein Schüler
der Alten malt; freilich ein höchft eigenwilliger Schüler. In derfelben Haager Galerie findet man
ein Bild mit Äpfeln, gleichfalls im Gefängnis entftanden. Die Früchte glühen wie die Geflehter auf
dem „Enterrement“, nur viel zarter und reiner, mit ganz dünnemPinfel gerundet. In dem herrlich
geglätteten tiefroten Material fpiegeln fich weißliche Lichter. DieÄpfel liegen vereint mit einer
Ente und einer blauenDelfterVafe in einer—Landfchaft.Ein ftattlicher braunerBaum belebt den
weiten Plan,und dahinter dehnt fich weißgrauer Himmel. Noch frappierender ift das Arrangement
in dem ähnlichen, aber nicht ganz fo gelungenen Stilleben des Amfterdamer Ryksmufeums. Die
Äpfel wieder in dem Rot, nur einer flicht in Gelb heraus. Die Landfchaft ift hier noch mehr als im
Haag fo behandelt, als wären dieÄpfel große handelnde Perfonen. Der Baum hinter ihnen müßte
von Rechts wegen viermal fo groß und die rötliche Landfchaft um ebenfoviel umfangreicher fein.
Und felbft diefer grobe Schnitzer in der Perfpektive,offenbar die Folge der ungewohnten Malerei
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