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Vorurteile find, daß die Zeit ihrerVorherrfchaft aus ift. Der erfte echte Revolutionär in der Kunft.
Zum erftenmal werden die Konfequenzen aus der Revolution von 1789 gezogen.Weder David
noch Gericault waren Revolutionäre. Sie dienten der Revolution. Courbet erfetzt nicht diefes
oder jenes Sinnbild, fondern erklärt die ganze Symbolik des früheren und gegenwärtigen Regime
für abgefetzt. Auch die eines Delacroix, des letzten Fürften auf dem Thron der Kunft. Den Fein-
geiftern, die von der wahren Schönheit fabeln, weift er feinen dicken Finger: darin fteckt die
Kunft. Ebenfogern hätte er ihnen die Kehrfeite gewiefen. Ein Napoleon, der fein Marengo, fein
Aufterlitz hatte und fein St. Helena fand. Ein K raftmenfch, den der Geift nicht bedrückte, zuweilen
ein Kraftprotz. Das, was hinter dem fchöpferifchen Ingenium zu ftecken fcheint, ift uns allen zu-
wider, heute erft recht, wo dasUngeiftige,das er polternd befchwor,mehr als man damals voraus-
fehen konnte, Schule gemacht hat. Der Schein aber vergeht, und Courbets Tatfachen bleiben. Sein
Blut leuchtet, feineWellen braufen, feine Felfen flehen unerfchütterlich, an feinem Fleifch weidet
fich das Auge. Kein Fürft kam mit ihm zur Höhe,fondern ein Bauer. Sein Verhängnis, feine Rettung.
Ein von alkoholifcher Einbildung gehetzter Schöpfer, der verurteilt war, den Sinn eines fchlauen,
gewinn- und herrfchfüchtigen Bauern mit fich herumzutragen und fich den groben Leuten feiner
Umgebung mit dem halb von Rabelais halb aus Don Quixote gemachten Gefleht zu produzieren.
Vielleicht eine Maske. Das einzig vernünftige Buch über den Menfchen ift die derbe Piychologie
eines Kneipkumpanen, der fich begnügt, die Streiche und Späße Courbets aufzuzählen29. Sieht
man näher zu, wächft aus der unbewußten Tragikomik ein anderes Antlitz merkwürdig ergreifend
hervor. Die Zeitgenoflen urteilten voreilig über den Bauern. Schon dieTatfache, daß er mitVor-
liebe Selbftbildnifte malte, genügte den Biographen — ich könnte ein halbes Dutzend nennen —,
um feine bornierte Eitelkeit feftzunageln. Es gibt kein einziges Selbftbildnis Courbets, das nicht
ein Meifterwerk wäre, und das follte reichlich genügen, das Dafein aller zu erklären. Niemandem
fiel es bisher ein, Rembrandt aus derfelbenVorliebe für fein Antlitz denfelben Vorwurf zu machen.
Es gibt fogar Bewunderer, die gerade in diefer Leidenfchaft ein Zeichen feiner Größe erblicken.
Für den Bauern fpricht feine Zähigkeit und die bis zur Plumpheit getriebene Einfalt. Bauer ift
Courbet in der Rückfichtslofigkeit feiner Inftinkte, in dem allem Eklektizismus Entgegengefetzten
feiner Art, in der gefunden Inkonfequenz feiner ganzen Entwicklung. Er übertrieb vielleicht das
bäuerifche Selbftbewußtfein, um allen Kompromißen zu entgehen, ftellte fich weniger gebildet,
als er war. Denn hätte er fich zu dem geringften Kompromiß herbeigelaflen, wäre ihm juft der
Vorfprung vor den Nichtbauern verloren gegangen. Im bewußten Eklektizismus wären ihm alle
gebildeten Maler über gewefen. Damit foll nicht die Fülle von Beziehungen zu den alten Meiftern,
die wir fanden, abgefchwächt werden. Es gibt wenig große Künftler, die die natürliche Abhängig-
keit von den alten Meiftern gleich unverhüllt fehen laßen. Wenn ich ihn das Gegenteil eines Eklek-
tikers nenne, meine ich die abfolute Selbftändigkeit feines Verhaltens. Er nahm feinetwegen und
feiner höchft perfönlichen Ziele wegen die Alten, nicht ihretwegen. Daher feine unglaublich ein-
feitige Kritik, die auf ein paar Namen befchränkteAuswahl, die frevelhaft wäre, wenn fie nicht
das fubjektive Recht feiner Meinung verträte, wenn fie nicht mit größter Konfequenz das für die
eigne Art Zuträgliche fände und wenn diefe Art nicht den tatiächlich brauchbaren maleriichen
Wert und damit die Zukunft umfaßte. Er war weniger Kompromißler als irgendein Maler feit
Rembrandt. Keiner feiner Vorgänger oder Nachfolger ift freier, weil keiner der eigenen Natur

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