Faß möchte man das Disparate feinesWerkes damit erklären. Seine Bilder, fo perfönlich fie find,
geben mehr als Realifierung eines Einzelfalles, enthalten in Bruchftücken eine notwendige, ganz
allgemeine Erfüllung,an der man teilnehmen,mitarbeiten,gegen die man fleh wehren konnte,die
mehr als irgendeine Kunft der Zeit zu ganz perfönlichem Verhalten zwang.
Wenn man die Kritiken für und wider den Meifter von Omans durchblättert,kommt unwillkürlich
ein anderer Franzofe ins Gedächtnis, der zur felben Zeit ebenfo lebhaft angegriffen und verteidigt
wurde: Flaubert. Das Requifitoire des berühmten Prozeßes von 1857 gegen denVerfafler der
Madame Bovary bediente fich ungefähr derfelben Argumente, die man gegen den Maler vorbrachte;
ein wenig intelligenter übrigens bei aller Befchränktheit. Mit Gründen, die weder für noch gegen
den Dichter fprachen, verteidigte der Anwalt Senard, dem der dankbare Autor nachher das Buch
widmete, feinen Schützling; wiederum intelligenter, fachlicher als die mit der Malerei befchäftigten
Literaten. Angriffe undVerteidigung gefchriebener Werke find zu allen Zeiten ein wenig intelli-
genter als die Boxereien für und wider die bildende Kunft gewefen. Senard wies nach, daß die
Dinge fo find, wie fie Flaubert malte, und ließ fleh, zum Glück für den Angeklagten, daraufein, die
Moral durch die Abfchreckungstheorie zu rechtfertigen.Die gleichenArgumenteführtenProudhon
und die mit Courbet befreundeten Kritiker ins F eld. Ganz in derfelben W eife fuchte man zur gleichen
Zeit in Deutfchland Rembrandt zu rechtfertigen, den Kugler in den dreißiger Jahren mit der
Mäßigung eines milden Richters geduldet hatte.Ähnlich verhieltfich bisvor kurzem dieBourgeoisie
zu den Romanen Emile Zolas. Freunden und Feinden entging, daß hier etwas ganz anderes zu
verteidigen oder anzugreifen war,als die perfönliche Moral; daß nicht diefer oder jener Künftler,
fondern die Gegenwart handelte, wenn Courbet oder Flaubert, Manet oder Zola ihre Bilder
entrollten.
Die neue Kunft des 19. Jahrhunderts verlegt das Heroifche auf einen neuen Standpunkt, entrückte
das Individuelle aus dem Bereiche der Einzelheit, verallgemeinerte, was man vorher die Seele
nannte, materialifierte fie und entmaterialiflerte dafür im höheren Maße die Bilder. Sie fchuf eine
neue Einheit und diente in ihrem Bereich — im Bereich der Literatur, der bildenden Künfte und
am deutlichften von allen in der neuerenMufik—demfelben Prinzip, das diePhilofophie gleichzeitig
in ftrahlenden Geiftern erkämpfte. Die Entwicklung, die mit Kant begann, amputierte der Menfch-
heit eine Illufion,nahm ihr das Recht zu den phantaftifchenVorftellungen der alten Metaphyfik und
leitete fie durch Schopenhauer zu einem fchwankenden, aber realeren Syftem, dem der Peffimismus
nur eine, durchaus nicht die einzige Anwendung gab. Schopenhauer rettete fich vor dem düfteren
Schluß der Selbftvernichtung in das Reich der Künfte. Und war nicht gerade die moderne Kunft,
die dem Zweifel am Wert des Einzelwefens konfequent Rechnung trug, diefer Negation aber das
Pofitive eines größeren Kosmos gegenüberftellte,als Zuflucht geeignet? Courbet zerftörte den
Gedanken als spiritus rector des Bildes, die abftrakte Idee, die an fich geeignet fein follte, den
Menfchen zu erbauen; den Dualismus von Körper und Seele des Kunft werks. Nicht die Seele hob
er auf, nur widerlegte er den Aberglauben von einem ifolierten Sitz der Seele, des Schönen, und
brach mit der fcheinbaren Handlung, die fich vor jeder Reflexion als ohnmächtig erweift. Und
gleichzeitig, während er fo das Signal zum Aufräumen mit vielen Vorurteilen gab, zeigte er den
ftärkeren Faktor: die Malle, die mit der Bewegung allein das Schöne hervorbringt. Manfchimpfte
ihn einen unperfönlichen Kopiften der Natur. Tatfächlich entfernte er das Perfönliche nur aus
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geben mehr als Realifierung eines Einzelfalles, enthalten in Bruchftücken eine notwendige, ganz
allgemeine Erfüllung,an der man teilnehmen,mitarbeiten,gegen die man fleh wehren konnte,die
mehr als irgendeine Kunft der Zeit zu ganz perfönlichem Verhalten zwang.
Wenn man die Kritiken für und wider den Meifter von Omans durchblättert,kommt unwillkürlich
ein anderer Franzofe ins Gedächtnis, der zur felben Zeit ebenfo lebhaft angegriffen und verteidigt
wurde: Flaubert. Das Requifitoire des berühmten Prozeßes von 1857 gegen denVerfafler der
Madame Bovary bediente fich ungefähr derfelben Argumente, die man gegen den Maler vorbrachte;
ein wenig intelligenter übrigens bei aller Befchränktheit. Mit Gründen, die weder für noch gegen
den Dichter fprachen, verteidigte der Anwalt Senard, dem der dankbare Autor nachher das Buch
widmete, feinen Schützling; wiederum intelligenter, fachlicher als die mit der Malerei befchäftigten
Literaten. Angriffe undVerteidigung gefchriebener Werke find zu allen Zeiten ein wenig intelli-
genter als die Boxereien für und wider die bildende Kunft gewefen. Senard wies nach, daß die
Dinge fo find, wie fie Flaubert malte, und ließ fleh, zum Glück für den Angeklagten, daraufein, die
Moral durch die Abfchreckungstheorie zu rechtfertigen.Die gleichenArgumenteführtenProudhon
und die mit Courbet befreundeten Kritiker ins F eld. Ganz in derfelben W eife fuchte man zur gleichen
Zeit in Deutfchland Rembrandt zu rechtfertigen, den Kugler in den dreißiger Jahren mit der
Mäßigung eines milden Richters geduldet hatte.Ähnlich verhieltfich bisvor kurzem dieBourgeoisie
zu den Romanen Emile Zolas. Freunden und Feinden entging, daß hier etwas ganz anderes zu
verteidigen oder anzugreifen war,als die perfönliche Moral; daß nicht diefer oder jener Künftler,
fondern die Gegenwart handelte, wenn Courbet oder Flaubert, Manet oder Zola ihre Bilder
entrollten.
Die neue Kunft des 19. Jahrhunderts verlegt das Heroifche auf einen neuen Standpunkt, entrückte
das Individuelle aus dem Bereiche der Einzelheit, verallgemeinerte, was man vorher die Seele
nannte, materialifierte fie und entmaterialiflerte dafür im höheren Maße die Bilder. Sie fchuf eine
neue Einheit und diente in ihrem Bereich — im Bereich der Literatur, der bildenden Künfte und
am deutlichften von allen in der neuerenMufik—demfelben Prinzip, das diePhilofophie gleichzeitig
in ftrahlenden Geiftern erkämpfte. Die Entwicklung, die mit Kant begann, amputierte der Menfch-
heit eine Illufion,nahm ihr das Recht zu den phantaftifchenVorftellungen der alten Metaphyfik und
leitete fie durch Schopenhauer zu einem fchwankenden, aber realeren Syftem, dem der Peffimismus
nur eine, durchaus nicht die einzige Anwendung gab. Schopenhauer rettete fich vor dem düfteren
Schluß der Selbftvernichtung in das Reich der Künfte. Und war nicht gerade die moderne Kunft,
die dem Zweifel am Wert des Einzelwefens konfequent Rechnung trug, diefer Negation aber das
Pofitive eines größeren Kosmos gegenüberftellte,als Zuflucht geeignet? Courbet zerftörte den
Gedanken als spiritus rector des Bildes, die abftrakte Idee, die an fich geeignet fein follte, den
Menfchen zu erbauen; den Dualismus von Körper und Seele des Kunft werks. Nicht die Seele hob
er auf, nur widerlegte er den Aberglauben von einem ifolierten Sitz der Seele, des Schönen, und
brach mit der fcheinbaren Handlung, die fich vor jeder Reflexion als ohnmächtig erweift. Und
gleichzeitig, während er fo das Signal zum Aufräumen mit vielen Vorurteilen gab, zeigte er den
ftärkeren Faktor: die Malle, die mit der Bewegung allein das Schöne hervorbringt. Manfchimpfte
ihn einen unperfönlichen Kopiften der Natur. Tatfächlich entfernte er das Perfönliche nur aus
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