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Meier-Graefe, Julius; Courbet, Gustave [Ill.]
Courbet — Muenchen: R. Piper & Co. Verlag, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.49992#0064
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Gefchmack gegen die Kraft des Koloßes. Bewies fie mehr Geift und Sachlichkeit als der Barbar,
indem fie feine Ungeiftigkeit als Fremdkörper zurückwies? Nicht die Gerechtigkeit gegen den
Riefen, fondern die Rückficht auf uns, auf das wenige Eigene das wir haben, erheifcht ernftere
Wertung.Was Generationen den Genuß Rembrandts verfchloß, war die Dunkelheit feiner Lein-
wände, die gegen die beliebten Farben der Wohnungen oder der Frauenkleider verfließ, oder das
durchaus nicht Zierliche feiner Geftalten, während die Mode auf Rokoko ftand. Eine andere Zeit
wandte fich von Rubens ab, weil ihre Strenge ihn zu barock fand. Einer zärtlichen Epoche waren
die Primitiven verfchloflen. Moden vergehen. Große Künftler füllten auf einer gefichertenWarte
ftehen. Die Relation zum Gefchmack erfchöpft nicht den Bruchteil ihresWertes.Was wir aus ihnen
gewinnen,ift mehr als die unmittelbar nutzbare Anregung, mehr als die Stärkung unferes Farben-
oder Linienfinns, felbft mehr als die Bereicherung unferes Formgefühls. Alles das find Nützlich-
keiten, nicht Beweggründe: Vorteile, von der Tat des Künftlers mitgefchwemmt. Die Tat ent-
fcheidet, die Eroberung der Materie, daß fie zum zuckenden Glied des Geftalters wird. Ob wir
folchesWerk naturaliftifch nennen oder anders, ob uns die Kraft animalifch oder anders erfcheint,
das alles find wichtige Unterfcheidungen, gut für unfere Gefittung, unfere Erkenntnis, aber fie
kommen erft, nachdem die wefentlicheEntfcheidung fiel. ImmeriftfolchesWerk Sieg desMenfchen
über die Materie. Seine Einzelheiten find nur die Fahnen des Siegers. Sein Gewinn ift, was wir mit
ihm gewinnen, das Zucken, das auch uns erfaßt und in fchöpferifche Höhe fchnellt. Da wir reicher
werden, liegt es in unferem Interefle, körperlich, geiftig, mit allen Augen zu fehen. Denn jedes
ungefeheneWerk zählt taufend unferer Seligkeit geftohlene Stunden.


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