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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0070
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Es schien mir sonderbar, wie jemand auf den Ge-
danken kommen konnte, mit so einem Zettel etwas
gegen die Unendlichkeit ausrichten zu wollen.

Wir saßen und rauchten. Es gab viel Mißver-
ständnisse in so einer Zeit. Ein paar dumme Menschen
hatten am Tage der Kriegserklärung einen Teil des
Dorpater Gartens mit den besten Stauden zerstört.
In Riga hatte man die Häuser der Deutsch-Russen
geplündert. In Polen hatte es noch schlimmere
Mißverständnisse gegeben. In Belgien auch. Schließ-
lich war der ganze Krieg ein Mißverständnis.

Er hatte ganz recht, und es war wunderschön, so
zu denken, aber es paßte mir nicht. Irgend etwas
an dem Menschen reizte mich. Wie kam er dazu, so
mit mir zu reden und was half es mir? Ich wider-
sprach, um zu widersprechen, empfand das Be-
dürfnis, über die Anlässe zum Kriege möghchst
gewagte Hypothesen nationalistischer Färbung auf-
zustellen, fühlte den Unsinn und redete erst recht
so weiter. Ich zappelte.

Was mich störte, war die Dunkelheit. Die dumme
Stearinkerze über der Tür beleuchtete kaum sich
selbst. Von Remkens Gesicht sah ich kaum die
Stirne. Er nickte jedesmal, wenn ich eine Pause
machte, sagte aber nichts. Man brauchte sich nach
meiner Meinung für den Ausgang des Krieges nur
die Frage zu stellen, welches Volk am besten die
Niederlage ertragen würde. Dieses Volk würde siegen.
Remken nickte. Das sei wohl möghch.

Nun und bitte, welches Land wankte nicht, wenn
es den Krieg verlor? Innerhch, wohl verstanden,
von Länderverlust, Menschenverlust abgesehen. War

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