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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0183
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sympathische Formen und übertrug sie auf sein
Affendasein. Auch andere vermochte er zu über-
tragen und blieb dabei immer auf das Typische
gerichtet. Es war Persönlichkeit in seiner Darstellung
und freies Empfinden. Er konnte gravitätisch ein-
gebildet sein wie Schimpansen, die an vortragende
Räte erinnern, stolz und raffiniert zugleich wie
Botschafter und lüstern wie Lebemänner von der
Börse. Er brachte das Sture des österreichischen
Oberst mit dem blanken Schädel zum allgemein
gültigen Ausdruck und entdeckte das Affenartige in
den rollenden Augen des behaarten Majors. Reizte
man ihn aber, so kam das versteckte Temperament
zum Durchbruch. Dann gab er die Pose auf, sprang
über drei Betten hinweg und raste mit tierischem
Unverstand auf einem von uns herum, wie der im
Entsetzlichen grandiose Orang-Utang in Fremiets
Gruppe Der Mädchenraub.

Gottchen wand sich bei der Trauung wie ein ge-
getretener Wurm, quietschte fohlenhaft und klam-
merte sich an seine gebuckelte Nase. Er litt
unter dem Lachen. Zuweilen faßte es ihn mitten in
der Nacht, wenn alles längst schlief, weil er sich’s
am Mittag einmal verhalten hatte. Ich fand ihn des
Morgens an seinen Riecher geklammert mit dem
Ausdruck des Leidens. Wir schliefen natürlich in
Kleidern. Man zog sich alles Verwendbare an oder
deckte es auf sich., auch Reisekörbe und Bretter.
Walch brachte mich und Gottchen zu Bett.

Walch war eine Perle. Gottchen hatte mir die Hälfte
von ihm abgetreten. Wenn alle anderen in ihren
Tschainiks faules Rübenwasser hatten, Gottchen und

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