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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0198
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und eins der Telegramme waren drei Monate alt,
die beiden anderen über vier Wochen. Alles war
zusammen gekommen. Die Telegramme sagten
nicht viel. Aber der Brief war von dir geschrieben,
hatte deine eigenen Worte, feste nützliche Worte.
Du hattest an die Zensur gedacht, aber es war alles
in dem Brief. Ich sollte nicht den Mut verlieren.
Der lange Unteroffizier hielt mir die Feder hin
für die Unterschrift in dem Ouittungsheft. Er wurde
auf einmal noch viel länger, schraubte den vier-
eckigen Kopf auf dem spiralförmigen Hals bis an
die Decke und sah von oben herunter. Schließlich
nahm ich die Feder.

In der Nacht steckte ich leise die Kerze an. Gott-
chen schlief fest. Um Kaltenborn nicht zu wecken,
nahm ich das Licht von dem Fensterbrett und
behielt es beim Lesen in der Hand. Im Darm brannte
auch eine Kerze. Es war neben Conte. Er las auch
einen Brief.

Am nächsten Mittag stieg der österreichisch-
ungarische Fußbalhnatch, bei dem Almanek trotz
der einen Hand Erster wurde. Abends war bei
uns Kammermusik. Kaltenborn sang mit steinerner
Miene Schnadahüpfl zur Mandoline. Lamprecht
und ein anderer spielten Duett auf der Mund-
harmonika, und der Bariton trug den Abendstern vor.

Wir waren bei der Schulfrage. Der k. k.

Ministerialrat Gottchen ließ seine Ansichten
verlautbaren. Von der Musik irn allgemeinen waren
wir auf Kirchenmusik gekommen, und ich hatte
von russischen Chören erzählt, von denen natüriich

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