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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0328
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Ich sitze da wie aus Glas, wie in Mokrow. Mancher
wäre selig, die Reise auf dem Puffer der Lokomotive
zu machen, und das Beinehochheben dauert kaum
eine Minute. Auch habe ich einen Platz am Fenster.
Die Unwahrscheinlichkeit des Ganzen und die Ohn-
macht gegen unvorhergesehene Eingriffe, selbst wenn
sie erfreulich, über alle Erwartung erfreulich sind. —
Aber warum unwahrscheinlich ? Man hat mich längst
austauschen wollen. Gegen diesen Russen mit deut-
schem Namen, einen Livländer. Das stand in dem
Omsker Brief vor sechs Monaten. Der Name fing
mit einem L an. In Rußland braucht alles seine Zeit.
Nun haben sie sich’s überlegt. Den Russen liegt
daran, ihren Livländer wiederzukriegen, und der wird
nur gegen mich herausgegeben. Das ist alles ganz
einfach. Also! Also! Stell es dir nur vor! In so und
so viel Tagen, in einer Zeit, die man ausrechnen kann!
Diesmal kein Schuppen, keine Phantasie, sondern
das wirkliche Haus! Man kommt an der Wiese vor-
bei, durch den Wald. Dann der Kirchturm, dann das
Gitter mit den schwarzen Stäben, das weiße Kleid.
Dumm, daß die Pfeife eingepackt ist. Unmöghch,
die Körbe je wieder herunterzunehmen, geschweige
aufzumachen. Der Konvoi schläft; einer von der
schnaufenden Sorte. Und diese Gurke! Immer diese
Gurke!

Das Wesentliche! Man lebte doch nur, weil man sich
die Miihe gab, sich das einzubilden. Eine künstliche
Sache, krankhaft, Schein. Acht Tage schließe ich
mich mit den Zeitungen ein. Möglicherweise gibt es
Tabellen für die Hauptsachen. — Mensch, das We-
sentliche!

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