Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
RUE DE

PARIS

Sevillas. Auf diesem unteren Quai, dicht über der
Seine, vor diesen Restaurants mit ihren Terrassen
und ihren Musikanten, hat sich zuerst das „Nacht-
leben" entwickelt. Hier und dann drüben, auf dem
rechten Ufer, hinter den Palästen der Stadt Paris
und der Gartenbauausstellung, in der „Rue de
Paris".

Die „Rue de Paris" ist eine lange Baumallee, an
der man eine Reihe von kleinen Theatern, von
Häuserchen, in denen man die „Spezialitäten" von
Paris und besonders von Montmartre findet, aufge-
baut hat. Die Häuser sind leicht und luftig gebaut
und fast immer mit amüsanten bunten Bildern be-
malt Ihr Äusseres ist oft amüsanter, als das, was
sie im Innern bieten — die Kunstgenüsse, mit denen
sie aufwarten, können gewöhnlich nur die anspruchs-
losesten Gemüter befriedigen. Aber es ist doch
lustig und vergnüglich, in dieser Strasse zu prome-
nieren — wenigstens am Abend.

Denn am Abend glühen und funkeln in den
Baumkronen zahllose farbige kleine Lichter, die dort,
in papiernen Blumen, an den Zweigen hängen.
Eine meist sehr elegante Menge schiebt sich durch die
Allee — Damen in Dinertoilette lassen sich in „Fau-
teuils roulants" über den Kies rollen, und an den
Tischen vor den drei oder vier Restaurants der Rue
de Paris (sie sind zu wenig zahlreich und auch recht
mittelmässig) sitzen die Bequemen und betrachten,
bekritteln und begrüssen die Promenierenden. Und
es herrscht eine sehr vergnügte Stimmung und man
merkt, die meisten haben gut diniert und sind mit
dem festen Entschlüsse gekommen, sich zu amüsieren.

Zuerst staut sich die Menge vor dem „Maison
du Rire", dem Theaterhause, welches das Pariser
Witzblatt „Rire" gebaut hat.

Ein Stückchen weiter ein Theater, dessen Plakate
„Tableaux vivants", lebende Bilder, verheissen.
Aber es ist nicht sehr lohnend, einzutreten, denn
diese Bilder — Bilder aus der biblischen Geschichte
— sind jahrmarktshaft und langweilig. Weit amü-
santer und künstlerischer ist das „Theätre des Bon-

hommes Guillaume", dessen Äusseres — die Front
ist geziert mit all den Pariser Strassenfiguren, die
der liebenswürdige Zeichner Guillaume zu zeichnen
pflegt: dem Soldaten, dem Stutzer, der kleinen Mo-
distin, dem „vieux marcheur" — und dessen Inneres
— der zierliche, kokette, im Trianonstil dekorierte
Theatersaal — gleich graziös und reizend sind. Auf
der winzigen Bühne dieses Theaterchens führen
Puppen kleine Theaterstücke auf und werden Strassen-
scenen (die Fahrt des Präsidenten zur Oper und
anderes) dargestellt.

Dann kommt man an der „Roulotte" vorüber,
in welcher die Chansonniers vom Montmartre lustige
oder sentimentale Lieder singen, an dem mit Lein-
wand umhüllten Theater der Lo'ie Füller, an einem
Hause, das so gebaut ist, als stände es auf dem
Kopfe, oder vielmehr auf dem Dache, an dem „Grand
Guignol", in welchem kleine Einakter gespielt
werden. Hier und da steht vor einem der Theater
ein Harlekin, oder ein sonst wie kostümierter Aus-
rufer, der mit gereimten oder ungereimten Reden
das Publikum zum Nähertreten auffordert.

Aber am dichtesten ist das Gedränge vor dem
mit kleinen Possen und humoristischen Solovorträgen
aufwartenden „Theätre des auteurs gais". Hier
steht auf der Veranda des Hauses eine ganze Bande
von Ausrufern, von Harlekins, von Hanswürsten aller
Art, und namentlich von weiblichen. Und eine
groteske Jahrmarkt - Musikantentruppe paukt und
trompetet auf Mord.

Um elf Uhr — eine Stunde später, als die
übrigen Pforten der Weltausstellung — werden die
Thüren der „Rue de Paris" geschlossen. Es darf
niemand mehr hinein. Um zwölf Uhr erscheinen
die Sergents de Ville, die Polizisten, und treiben
das Publikum sanft, aber ohne Gnade, aus dem
Paradiese. Und diese polizeilichen Mahner und
Tugendwächter und diese Zwangsmittel, mit denen
das „Nachtleben" etwas frühzeitig beendet wird,
sind das einzige, was in der „Strasse von Paris"-
nicht recht pariserisch ist.

ItlifruAJ*- 7)ti***)

60
 
Annotationen