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VI

RENAISSANCE
DES KÜNST-
LERISCHEN
GEWERBES

DAS KÜNSTLERISCHE GEWERBE AUF DER WELTAUSSTELLUNG

IE Erwartung, dass die Weltausstellung
die Entscheidung bringen würde, ob
die in allen starken Ländern seit einigen
Jahren entstandene Bewegung einer
Renaissance des künstlerischen Ge-
werbes allgemeine Bedeutung hat
oder nicht, hat sich nicht getäuscht.
So sehr der Vergleich der Architektur
der Ausstellung von 1889 mit der von
1900 gegen die heutige entscheidet,
so überraschend ist die auf allen Gebieten der häus-
lichen Künste durchdringende Herrschaft neuer For-
men, neuer Ideen; und wenn der Weg, den diese
Renaissance nimmt, indem sie beim Innern des
Hauses, nicht bei dem Äusseren anfängt, auch nicht
die Logik der früheren Stilentwickelungen besitzt,

Bewegung förderlicher als der Süden. Will man
nach Rassen scheiden, so überwiegt der Germane
bei weitem über den Lateiner; ja selbst das höchst
entwickelte Volk der lateinischen Rasse, die Fran-
zosen, die auch hier den Hauptplatz einnehmen,
sind von dieser Erscheinung nicht ausgenommen.
Bei ihnen ist diese moderne Bewegung eine Kunst-
richtung wie jede andere, eine Frage für Amateure,
nichts weniger als das mit der Kraft einer socialen
Revolution zum Bewusstsein gelangte Bedürfnis, aus
dem in den germanischen Ländern diese Bewegung
entsprungen ist.

Maler und Bildhauer waren es überall, die sie
verkündeten, aber während in anderen Ländern,
zuerst in England, der Künstler zum Handwerker
wurde, nicht ohne sich sehr ernst der socialen Be-

TÄNZERINNEN VON LEONARD (STAATSMANUFAKTUR VON SEVRES)

die stets bei der eigentlichen Architektur ansetzten,
so beweist die Unzahl der Erscheinungen nichts-
destoweniger, dass auch auf diesem Wege der Sieg
der Neuzeit über das Alte möglich ist.

Fast auf allen Gebieten, fast in allen auf der
Ausstellung vertretenen Ländern erkennt man nicht
nur die Anzeichen, dass etwas Neues kommen wird,
sondern die Thatsache, dass es bereits da ist. Natür-
lich ist die Stärke in den verschiedenen Ländern
verschieden, und zwar scheint der Norden der neuen

deutung dieses Schrittes bewusst zu werden — siehe
Morris, Crane, Cobden Sanderson u. a., die darüber
litterarisch Zeugnis abgelegt haben —, blieb der
Franzose trotz alledem reiner Künstler im guten und
schlimmen Sinne, d. h. der socialpropagandistischen
Bedeutung der Bewegung innerlich fremd. Gerade
diese Seite der Frage aber ist die wesentliche, nicht
der Name — Gewerbe oder Kunst — thut etwas
zur Sache, sondern lediglich der Umstand: ist das
neue Produkt im modernen Sinne gewerblich mög-

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